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Anklage

Anklage

Titel: Anklage
Autoren: Markus Schollmeyer
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wird es dann noch schlimmer?«, wollte er unvermittelt wissen.
    »Natürlich dürfen Sie. Wenn Sie niemanden beschimpfen. Sachlich, Sie wissen, was ich meine.«
    Er nickte, wollte mir aber nicht verraten, was er sagen wollte. Hatte er neue Enthüllungen über die Machenschaften des Betriebs
seines Arbeitgebers oder wollte er sich nur die Wut von der Seele reden? Ich fragte nicht mehr nach, sondern vertraute ihm einfach.
    Als wir wieder an unserem Platz angekommen waren, machte ich eine Handbewegung, die erkennen ließ, dass ich etwas sagen wollte. »Herr Vorsitzender, mein Mandant möchte noch etwas vorbringen.«
    »Gut, bitte, aber denken Sie auch bitte an die Zeit und meinen straffen Terminkalender«, meinte der Richter.
    Der Gegenanwalt rutschte nervös auf seinem Stuhl hin und her, offensichtlich war er unruhig über das, was nun kommen würde. Wahrscheinlich hatte er eine Befürchtung in eine bestimmte Richtung, eine Befürchtung, die vielleicht sein Rechtskonstrukt zu Fall bringen konnte. Gab es vielleicht doch noch einen anderen Zeugen?
    Mein Mandant strich sein Hemd glatt. Er stand sogar auf. Dann sprach er mit fester Stimme die Worte, die keiner im Saal erwartet hatte. Und schon gar nicht von einem Busfahrer: »Ich habe mit nichts als der Wahrheit gearbeitet, darauf bin ich sehr stolz. Was ich gesagt habe, ist wahr, auch dann noch, wenn es alle anderen vergessen haben wollen. Aber das ist es nicht, was ich sagen wollte. Mir geht es um das: Wenn die Wahrheit vor Gericht nichts mehr gilt und auch das Wort eines Bürgers, der sich noch nie etwas zu Schulden kommen ließ, nichts mehr gilt, soll man mir das jetzt bitte persönlich und mitten ins Gesicht sagen. Dann weiß ich, woran ich bin und kann mich damit abfinden.«
    Dann setzte er sich wieder.
    Der Richter war mehr als irritiert. Er blickte verdutzt drein und wandte sich an mich. »Haben Sie ihm denn nicht die Regeln der Beweislast erklärt? Das ist unser Gesetz, ich habe nichts damit zu tun. Ich entscheide nur auf dieser gesetzlichen Grundlage.«

    »Doch, habe ich. Und zwar inhaltlich genau so, wie Sie es gesagt haben. Aber er will es offensichtlich von Ihnen als Instanz hören.«
    »Nun, äh, also gut, wenn es hilft. Aber nur kurz, Sie wissen, die Zeit drängt.« Mit dem Gesicht eines Oberlehrers, der seinem missratenen Schüler zum wiederholten Mal das Einmaleins zu erklären versuchte, setzte der Richter schließlich an. »Wir haben hier bei Gericht Regeln, wie wir Rechtsstreitigkeiten lösen. Eine der Regeln ist - in diesem Verfahren zumindest -, dass derjenige, der etwas behauptet, es auch beweisen muss, sonst ist es für mich als Richter nicht wahr und ich muss es bei meiner Beurteilung ignorieren. Egal, wie es tatsächlich gewesen ist. So funktioniert das hier.«
    »Und wenn man die Wahrheit manipuliert und Beweise vernichtet, dann gilt das auch«, warf der Mandant ein.
    »Wenn Sie beweisen können, dass Beweise vernichtet wurden, dann sieht die Sache anders aus. Wenn nicht, dann bleibt es bei dem, was ich vorher gesagt habe: Ich kann ohne Beweis nichts für Sie machen.«
    Der Mandant schwieg und sah stattdessen zum Gegenanwalt, der ihn aber ignorierte.
    »So, was machen wir jetzt?«, fragte der Richter. »Wollen Sie die Klage zurücknehmen?«
    »Nein, denn ich möchte das lesen, was sie mir eben gesagt haben. Das ist für mich so unglaublich, dass ich es schwarz auf weiß haben muss. Kann ich dann gehen oder braucht man mich hier noch?«
    Ich gab meinem Mandanten zu verstehen, dass wir noch ein paar Formalitäten abwickeln müssten und es besser wäre, wenn er bliebe. Mit leerem Blick kauerte er neben mir. Als die Verhandlung zu Ende war, stand er auf, bedankte sich beim Gericht und ging mit einer weiteren gemurmelten Verabschiedungsformel aus dem Saal. Ich beeilte mich, meine Unterlagen
einzupacken, denn der nächste Anwalt stand schon vor mir, um meinen Platz zu übernehmen. Schließlich hatten wir die auf dem Terminkalender festgelegte Zeit überzogen.
    Mein Mandant wartete vor der Tür des Saals auf mich. Gemeinsam gingen wir schweigend aus dem Gerichtsgebäude. Es gab eine kurze Verabschiedung, dann ging er weg. Nach zwei Schritten blieb er stehen und drehte sich um. Ich stand noch an der Stelle, wo wir uns zuvor verabschiedet hatten. Er kam zurück und reichte mir seine Hand. »Ich habe vergessen, mich bei Ihnen zu bedanken.«
    »Gern, das freut mich, ist aber nicht notwendig.«
    »Finde ich nicht, Danke sagen gehört dazu. Außerdem finde
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