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Anklage

Anklage

Titel: Anklage
Autoren: Markus Schollmeyer
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nennt sich Menschenhandel«, unterbrach ich ihn.
    »Oh, wie ich sehe, kennen Sie sich mit der Materie bestens aus. Mein bisheriger Anwalt wusste das nämlich nicht.«
    »Ist ja auch eine neue Vorschrift«, versuchte ich den Kollegen in Schutz zu nehmen. Das stimmte tatsächlich. Der Begriff des Menschenhandels wurde erst vor Kurzem auch auf ausbeuterische »normale« Arbeitsverhältnisse ausgeweitet. Zuvor galt Menschenhandel als reines Rotlichtdelikt, also für Menschen, die mit Prostitution zu tun hatten. Durch die Änderung wurden nun auch ganz normale Arbeitsverhältnisse erfasst, bei denen die Arbeitnehmer ausbeuterisch bezahlt wurden. So kann man auch die erbitterte Debatte um die Mindestlöhne besser verstehen: Es ist nicht nur die angebliche Kostenlast und der damit einhergehende Wettbewerbsnachteil, den die Unternehmer verhindern wollen. Es ist auch das Risiko, sich durch Bezahlung
unter dem Mindestlohn strafbar zu machen. Das gilt es zu verhindern, schließlich liebt es kein Unternehmer, sich bei den Löhnen dreinreden lassen zu müssen, und schon gar nicht von Staatsanwälten.
    Ich kehrte mit meinen Gedanken zu dem Anrufer zurück.
    »Wie viel haben Sie denn in der Stunde bezahlt?«
    »Nun, wenn man den Unterlagen Glauben schenkt, so etwa 4,40 Euro in der Stunde. Also durchschnittlich gesehen.« Beinahe kleinlaut fügte er noch das Wort »brutto« hinzu.
    Ich schwieg, denn ich war geschockt. Wer kann denn von solchen Beträgen leben, schoss es mir durch den Kopf.
    Der Anrufer durchbrach das Schweigen. »Wenn ich die Löhne nicht drücken würde, hätte ich den Auftrag gar nicht bekommen. Ohne Schmiergelder läuft auch nichts, und die kann ich ja seit einigen Jahren nicht mehr wie früher von der Steuer abziehen, sondern muss sie reinrechnen, also muss ich die auch noch von den Löhnen abziehen. Außerdem waren das Arbeiter aus dem Ausland! Was ist jetzt, bekomme ich einen Termin?«
    »Nein, tut mir leid«
    »Ich zahle gut!«
    »Das glaube ich Ihnen aufs Wort«, versuchte ich mich in Ironie, »schließlich haben Sie ja ein Problem, weil Sie so gut zahlen.«
    »Nein, im Ernst: Was kostet es, wenn Sie mich vertreten? Ach was, das ist mir egal, sagen Sie einen Preis. Morgen überweise ich Ihnen erst mal Zehntausend. Als Zeichen meines guten Willens. Na, was meinen Sie?«
    »Ich werde Sie nicht vertreten. Auch nicht für noch mehr Geld.«
    »Überlegen Sie es sich doch noch mal. Bitte!«
    »Nein, tut mir leid. Ich habe für Ihr Verhalten kein Verständnis und daran ändert sich auch nichts, wenn Sie mir noch mehr
Geld bieten. Im Gegenteil: Ich verabscheue solche Ungerechtigkeiten und genau deshalb vertrete ich Sie nicht. Ich hoffe, ich habe mich klar genug ausgedrückt.«
    »Ein Anwalt und Gerechtigkeit«, höhnte es aus dem Hörer.
    »Ihr Anwälte seid doch nichts weiter als käufliche Huren, die sich jedem an den Hals werfen, der mit Geldscheinen wedelt. Aber bitte, wenn Sie nicht wollen, die Stadt ist voll von Anwälten, die mir sogar noch die Füße küssen, wenn ich sie mit meinem ach so ungerechten Verhalten beehre. Ja, Sie haben richtig verstanden: beehre! Für einen Anwalt ist es eine Ehre, mit mir zusammenzuarbeiten. Menschen wie ich halten die Wirtschaft am Laufen und geben Arbeit. Da ist es nur recht und billig, wenn man sich auch etwas vom Kuchen abschneidet. Kümmern Sie sich ruhig um Ihre hungerleidenden Gerechtigkeitsopfer. Sie tun mir leid!«
    Dann legte er auf, bevor ich noch etwas sagen konnte. Ich hätte ihm gern gesagt, wie unangebracht seine fehlende Schuldeinsicht war. Ich wollte ihn fragen, woher er sich das Recht nahm, über den Wohlstand und die Lebensverhältnisse und damit die Lebensqualität anderer zu entscheiden - denn das tat er mit seinen Hungerlöhnen.

37
    Wütend und erschüttert wandte ich mich wieder meinen anderen Fällen zu. In dieser Zeit bekam ich es des Öfteren mit Mandanten zu tun, die bei mir Hilfe suchten, weil sie mit ihren Versicherungen Schwierigkeiten hatten.
    Versicherungen, so die Theorie, sind sinnvolle Einrichtungen. Man bezahlt regelmäßig einen relativ überschaubaren Beitrag, um gegen ein größeres oder sogar gewaltiges Risiko abgesichert zu sein. Doch auch Versicherungen wollen einfach nur so profitabel wie möglich arbeiten. Schließlich werden ja viele Mitarbeiter gerade im Versicherungsbusiness nach Umsatz und Ertrag bezahlt. Logischer wäre eigentlich eine Absicherungsbezahlung, aber die funktioniert aus Gründen der Gewinnorientierung der
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