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Anklage

Anklage

Titel: Anklage
Autoren: Markus Schollmeyer
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Mitarbeiter nicht. Wie so oft, krankt eine gute Idee am persönlichen Gewinnstreben - auch Gier genannt - der daran beteiligten Menschen. Deshalb sieht die Entschädigungspraxis leider oft ganz anders aus als die Theorie.
    Auch mein nächster Mandant hatte Ärger mit der Versicherung, obwohl er nichts falsch gemacht hatte. Aber das schien die Versicherung nicht im Geringsten zu stören.

    Mein Mandant war ein 78-jähriger Mann mit weißem Haar und wachen Augen. Seine Ohren funktionierten nicht mehr so, wie sie sollten, deshalb hatte er ein Hörgerät. Altersbedingt hatte sein Herz Probleme gemacht und er musste in ein Krankenhaus. Dort einigermaßen wiederhergestellt, sollte seine Gesundheit in einer Rehaklinik weiter stabilisiert werden.
    Der alte Mann packte seine Koffer und fuhr in die Rehaklinik. Er war erstaunt, wie modern die Klinik war. Die ersten Behandlungen verliefen gut und er war sehr zuversichtlich.

    Auch als eines Morgens der Arzt an sein Bett kam und ihm sagte, er müsse eine Narkose erhalten, damit man weitere Untersuchungen durchführen könne, willigte er bedenkenlos ein. Der alte Mann wachte auch wie geplant aus der Narkose auf, doch irgendetwas war anders. Es war so still um ihn herum. Er konnte nicht mehr hören. Er erschrak, doch dann fiel ihm wieder ein, dass er ja ein Hörgerät hatte, das er einschalten musste. Er griff sich ins Ohr, doch da war nichts. Auch in der Schublade neben seinem Bett, wo er all seine wertvollen Sachen aufbewahrte, fand sich das Hörgerät nicht. Er klingelte nach einer Schwester, die mit ihm zusammen das ganze Zimmer auf den Kopf stellte. Das Hörgerät blieb wie vom Erdboden verschluckt und der alte Mann war nahezu taub. Es musste während der Narkose entfernt und verlorengegangen sein, da waren sich der alte Mann und auch die Krankenschwester völlig sicher.
    Die Krankenschwester erzählte dem alten Mann sogar noch, dass Hörgeräte und andere medizinische Hilfen sogar gebraucht einen hohen Wert hätten und sich in anderen Ländern einer großen Nachfrage erfreuten. Der alte Mann fand es schade, dass man nicht besser auf sein Hörgerät aufgepasst hatte, aber es half nichts: Er brauchte ein neues Hörgerät. Und das war teuer. So teuer, dass er es von seiner kleinen Rente nicht bezahlen konnte.
    Das Krankenhaus war einsichtig und sicherte zu, den Schaden an die Versicherung zu melden, denn schließlich war man schuld am Verschwinden des Hörgeräts. Der Schaden wurde also umgehend der Versicherung gemeldet und der alte Mann wähnte sich gut aufgehoben. Schließlich waren nur noch die 500 Euro Eigenanteil offen, den Rest hätte die Krankenversicherung übernommen.
    Doch dann kam das erste Schreiben der Versicherung. Sie lehnte ab, weil der Schadenshergang nicht ausreichend dargestellt
worden sei. Mit diesem Schreiben kam der alte Mann schließlich in die Kanzlei.
    Er hatte keinen Termin vereinbart und auch nicht vorher angerufen. In der heutigen Zeit war das nicht nur unüblich, sondern auch fahrlässig - zumal, wenn man wie er aus dem Umland erst anreisen musste -, denn es konnte sein, dass kein Termin frei war. Er kam unglücklicherweise just an einem sehr hektischen Tag, an dem ich eigentlich wirklich keine Zeit hatte.
    »Das macht nichts«, sagte der alte Mann ruhig, »ich kann warten, bis Sie Zeit haben. Darf ich mich setzen?« Er deutete auf eine Sitzgruppe, die im Wartebereich der Kanzlei stand.
    Mir fiel erst jetzt auf, dass ihm niemand - auch ich nicht - einen Sitzplatz angeboten hatte. »Aber natürlich. Tut mir leid, dass keiner …«
    »Das ist schon in Ordnung, wenn so ein alter Bursche wie ich einfach hereinplatzt, kann man schon mal aus dem Gleichgewicht geraten.« Er schmunzelte und man konnte ihm ansehen, dass er in jungen Jahren ein echter Schelm gewesen sein musste, der es verstanden hatte, seine Mitmenschen gut zu unterhalten. Er setzte sich und wartete, bis er gerufen wurde.

    Er schilderte mir den Fall in allen Einzelheiten, blieb dabei aber stets verständlich und vor allem chronologisch. Ich machte Notizen und wir verabschiedeten uns mit meiner Ankündigung, ein Schreiben an die Versicherung zu senden. Kurz nachdem der alte Mann die Kanzlei in Richtung S-Bahn verlassen hatte, diktierte ich auch schon das Schreiben an die Versicherung. Es verließ noch am selben Tag die Kanzlei.
    Die Antwort der Versicherung ließ fast vier Wochen auf sich warten und hatte noch eines Erinnerungsschreibens bedurft. In dem Schreiben stand in den typischen an
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