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Teuflische Kuesse

Teuflische Kuesse

Titel: Teuflische Kuesse
Autoren: Teresa Medeiros
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Prolog
    Sterling
Harlow musste sich
auf der Ottomane auf die Zehenspitzen stellen, um aus dem Fenster des Salons
spähen zu können. Er hätte sich leichter getan, hätte nicht eine mollige gelbe
Katze schlapp über seinem Arm gehangen. Sein warmer Atem schlug einen perfekten
Kreis auf das kalte Glas. Er wischte ihn gerade noch rechtzeitig mit dem Ärmel
ab, um eine elegante Stadtkutsche auf der gebogenen Auffahrt des weiß
getünchten Landhauses Halt machen zu sehen. Als ein livrierter Lakai mit
Perücke hinten von der Kutsche sprang und sich anschickte, den Schlag zu
öffnen, lehnte Sterling sich vor, bis seine Nase das Glas berührte.
    »Ich hab
noch nie einen echten Duke getroffen, Nellie«, flüsterte er und quetschte
aufgeregt die duldsame getigerte Katze, die seine ständige Begleiterin war.
    Seit Mama
und Papa ihm gesagt hatten, dass sein Großonkel sie mit einem Besuch beehren
würde, hatte Sterling von früh bis spät seine Kinderbücher nach dem Bild eines
Herzogs durchsucht. Schließlich hatte er entschieden, dass sein Onkel wie eine
Kreuzung aus Odysseus und König Artus aussehen musste – gütig, tapfer und
nobel, einen roten Samtumhang über die breiten Schultern drapiert und vielleicht
sogar mit einem leuchtenden Schwert an der Hüfte.
    Sterling
hielt den Atem an, als der Schlag aufging. Die Sonne ließ das Wappen auf dem
gelackten Tuch blitzen.
    »Sterling!«
Mutters Stimme prasselte auf seine angespannten Nerven, dass er beinahe von der
Ottomane gefallen wäre. Nellie sprang aus seinen Armen und suchte hinter den
Vorhängen Zuflucht.
    »Komm
augenblicklich da herunter! Was soll dein Onkel denken, wenn du ihn angaffst
wie einer der Dienstboten?«
    Mutter daran
zu erinnern, dass sie sich nur eine Bedienstete leisten konnten, wäre unklug,
entschied Sterling und hüpfte von der Ottomane. »Der Duke ist hier, Mama! Er
ist wirklich da! Und er fährt in einer Kutsche, die von vier weißen Pferden
gezogen wird, genau wie Zeus und Apollo!«
    »Oder der
Teufel«, murmelte sie und leckte sich die Finger, um den Wirbel glatt zu
streichen, der sein sonniges Haar ständig heimsuchte.
    Sterling
versuchte, stillzuhalten, während sie ein paar Katzenhaare von seinem Gehrock
klopfte und sein Miniaturhalstuch so fest zurechtzurrte, dass es ihn fast
erwürgte. Er wollte sich dem Duke von seiner besten Seite zeigen. Wollte Mama
und Papa stolz machen. Vielleicht würde Papa dann nicht mehr so viele Nächte in
London verbringen und Mutter sich nicht jeden Abend in den Schlaf weinen. Mehr
als einmal hatte ihr gedämpftes Schluchzen ihn letzte Woche geweckt.
    »So,
jetzt.« Sie trat einen Schritt zurück und betrachtete ihn mit schief gelegtem
Kopf. »Ganz der gut aussehende kleine Gentleman.«
    Ihr
hübsches Gesicht schrumpelte ohne Vorwarnung. Sie drehte sich weg und drückte
sich ein Taschentuch an den Mund.
    Erschrocken
und verwirrt ging Sterling einen Schritt auf sie zu. »Mama? Weinst du?«
    Sie
scheuchte ihn weg. »Sei nicht albern, ich habe etwas im Auge. Asche vom
Küchenfeuer, nehme ich an, oder eines von Nellies Haaren.«
    Zum ersten
Mal in seinem jungen Leben hatte Sterling seine Mutter im Verdacht zu lügen.
Doch bevor er nachhaken konnte, ging die Salontür auf.
    Das Herz
schlug Sterling bis zum Hals, er vergaß seine Mutter und drehte sich um.
    Papa stand
unter der Tür, die blau geäderten Wangen so rot wie die Nase. Für gewöhnlich
bedurfte es einer Glückssträhne am Spieltisch oder dreier Flaschen Portweins,
seine Augen so fiebrig glänzen zu lassen.
    »Ellie.
Sterling. Es ist mir eine große Ehre, meinen Onkel vorzustellen – Granville
Harlow, den sechsten Duke of Devonbrooke.«
    Der Herzog
drängte ungeduldig Sterlings Vater zur Seite und rauschte, gefolgt von einem
hoch gewachsenen Lakaien, in den Salon. Zu Sterlings größter Enttäuschung trug
er keinen schneidigen roten Umhang, sondern einen nüchternen schwarzen Gehrock
und Kniehosen ohne jede Verzierung. Seine Schultern waren nicht breit, sondern
schmal und bucklig, als könnten sie jeden Moment einstürzen. Dicke Brauen
überschatteten die farblosen Augen und ein schütterer Kranz weißer Strähnen
umrahmte sein glänzendes Haupt.
    Sterling
stierte die lange Spitznase an, die plötzlich zu zucken begonnen hatte. Der
Herzog explodierte in ein gewaltiges Niesen, das alle zusammenfahren ließ.
    »Hier ist
doch eine Katze, oder?« Die eng stehenden Augen suchten den Salon ab. »Sofort
hinaus damit. Ich kann diese widerlichen Kreaturen nicht
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