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Anklage

Anklage

Titel: Anklage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Schollmeyer
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»Das ist ihm egal.«

    »Wie egal - es ist ein Anspruch!«
    »Na, egal eben.« Wieder raschelte der Zettel im Hintergrund. »Sie können ruhig klagen, aber dann dauert das auch seine Zeit. Und bis dahin sind die Mandate abgearbeitet. Sie hätten das eben vorher bedenken sollen. Ach ja, und noch was: Wenn Sie irgendwas aus Ihren alten Akten möchten, können Sie auch gleich klagen. Freiwillig gibt es hier nichts. So das war’s, was ich Ihnen ausrichten soll.«
    »Geben Sie ihn mir, bitte.«
    »Tut mir leid. Ich habe auch zu arbeiten. Schönen Tag noch.« Sie legte auf.
    Ich setzte mich und versuchte einen Plan zu schmieden. So durfte er nicht durchkommen. Mein berechtigter Anspruch war aber offensichtlich nicht durchzusetzen, oder besser gesagt nicht zu dem Zeitpunkt, zu dem ich ihn gebraucht hätte. Die Entscheidung eines Gerichts abzuwarten hätte bedeutet, irgendwann, vielleicht in einem Jahr, ein Urteil zu bekommen. Irgendwann war irgendwie zu spät. Und einen Schadenersatzanspruch konnte ich auch vergessen. Ein solcher Schadenersatzprozess war ohne Unterlagen nicht machbar, ich musste sie also vorher tatsächlich erst herausklagen, um einen solchen Anspruch überhaupt prüfen zu können. Schließlich konnte bis zur Herausgabe viel passieren und Papier war bekanntlich auch geduldig.
    In meiner zeitlichen Not schrieb ich alle Organe an, die sich mit Streitigkeiten unter Anwälten befassten. Erst viel später, nach über fünf Monaten, sollte ich Antwort bekommen. Es würde ein schmuckloser Brief sein. Darin sollte es heißen: Man hätte Kontakt zum werten Kollegen aufgenommen, ihm meine Beschwerde zur Stellungnahme gegeben. Leider hätte diese aus Gründen der Arbeitsüberlastung in der Kanzlei nicht zeitnah beantwortet werden können. Der Kollege hätte von einem Missverständnis gesprochen, weshalb er die ganze Aufregung
auch nicht verstanden hätte. Am Ende sei man aber zu dem Schluss gekommen, dass auch ein Einschreiten durch die inzwischen verstrichene Zeit nicht mehr geboten schien. Man regte deshalb ein kollegiales Gespräch untereinander an. Wütend über die dreiste Lüge und das freche Verhalten zerknüllte ich das Schreiben und warf es in den Papierkorb.

35
    Etwa drei Monate später klingelte es an der Kanzleitür. Der Mandant, dem als Busfahrer gekündigt worden war, stand vor der Tür. Er trug wieder ein Holzfällerhemd. »Ah, da sind Sie ja. Es hat eine Ewigkeit gedauert, Sie aufzuspüren. Ihre alte Kanzlei hat mich ganz schön in die Irre geführt. Aber nun habe ich Sie ja gefunden.«
    Wir gingen in mein Büro und er legte mir einen Packen Unterlagen auf den Tisch. »Das sind alle Schreiben in der Sache. Ich habe von allem immer eine Kopie bekommen.«
    Obenauf lag eine Vorladung vor dem Arbeitsgericht. Der Mandant tippte mit seinem knochigen Finger auf die Ladung. »Morgen um 10 Uhr 15 ist der Termin. Haben Sie Zeit?«
    Ich griff nach meinem leeren Terminkalender und machte ein nachdenkliches Gesicht. Ich hielt es für besser, geschäftig auszusehen.
    »Ich hoffe, Sie können das noch irgendwie einrichten.«
    Irrte ich mich oder hatte ich ein leichtes Schmunzeln über seine Züge huschen sehen? Offensichtlich hatte der Mann so viel Lebenserfahrung, dass er merkte, dass meine Geschäftigkeit nicht echt war.
    Wir verabredeten uns also für den nächsten Tag.

    Vor dem Arbeitsgericht herrschte wie immer reges Treiben. Anwälte, mal in Anzug und Krawatte, mal in Jeans und Jacke, huschten hektisch über die breite Treppe in den Haupteingang des schmucklosen Plattenbaus. Aufgeregte Mandanten warteten im Foyer, bis ihr Anwalt endlich auftauchte, um ihm dann gleich und unvermittelt mit den neuesten Gerüchten und Theorien zu ihrem Fall zu überhäufen. Anwälte schätzen die Zusammenkunft mit den Mandanten - zumal kurz vor
dem Prozesstermin - überhaupt nicht, denn dafür gab es kein gesondertes Honorar. Manche Anwälte meinten, sie müssten grundsätzlich für die Zusammenkunft mit Mandanten eine Art »Schmerzensgeld« bekommen.
    Mein Mandant war anders. Er wartete gefasst und ruhig vor der Tür des Sitzungssaals. Wir begrüßten uns mit einem kurzen Handschlag und einem fast synchronen Kopfnicken. Für Beobachter wirkten wir wie ein eingespieltes Team, das bereit war, zur Not auch zusammen unterzugehen. Wie im Western, nur ohne Indianer. Ohne große Eile gingen wir wortlos in den Saal, wo die Gegenseite bereits wartete. Der Anwalt der Gegenseite war sehr hochgewachsen und massig. Seine schwarze

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