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An Paris hat niemand gedacht

An Paris hat niemand gedacht

Titel: An Paris hat niemand gedacht
Autoren: Veronika Peters
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wedelnd vor ihr sitzt. Während Marta das Fenster herunterlässt, um die Worte der Alten zu verstehen, hupt es hinter ihnen. »Grün«, sagt Paul. Marta hätte gerne noch gewusst, ob der Hund bestraft oder belohnt wurde, was er gemacht hat und ob die beiden zusammengehören. Vielleicht war er ausgerissen und hat nun, nachdem er zwei Tage und Nächte die Stadt durchstreift hatte, endlich die Frau wieder gefunden, bei der schon ein halbes Hundeleben lang gutes Futter zu bekommen war? Die schimpft zwar zunächst aus erzieherischen Gründen ein paar Sätze lang, wird aber gleich voll Freude den Ausreißer in die Arme schließen. Er wird ihr dabei Fleisch aus einer der Tüten stehlen.

    Paul zuckt neben ihr zusammen. Rot. Diese Ampel war rot.
    »Soll ich fahren?«
    »Nein, geht schon.«

    Warum trägt eine erwachsene Frau das Foto ihrer Mutter mit sich herum? Oder hatte Kati es mit der Absicht eingesteckt, es ihr zu zeigen? Warum? Es ist das erste Mal, dass die kleine Schwester zwischen den Mitgliedern der Familie zu vermitteln versucht.
    Marta denkt erneut, sie hätte sich nicht auf diese Zusammenkünfte einlassen sollen, hätte nicht zulassen dürfen, dass sich der Abstand an irgendeiner Stelle verringert. Was erzählt Kati Greta von ihr? Wieso hat sie nicht bedacht, dass die beiden selbstverständlich von ihr sprechen könnten, sobald Kati Kontakt zu ihr aufgenommen hat? Welchen Grund hatte sie zu glauben, dass die Schwester sich an die von ihr verhängte Nachrichtensperre halten würde?
    Vom ersten Tag an hatte Kati es vermocht, diese Frau zu einer aufmerksamen und liebevollen Mutter zu machen. Bereits zwischen dem Neugeborenen und Greta herrschte ein Einverständnis, das Marta merkwürdig fremd vorkam. Sie hatte die ersten Jahre ihres Lebens mit dem vergeblichen Versuch zugebracht, sich Gretas Liebe und Achtung zu verdienen. Wahrscheinlich war das der Fehler. Oder Marta war der Fehler. Kati besaß etwas, das ihr fehlte, was auch immer es war. Aber in ihrem Alter sollte Marta ohnehin über derartige Überlegungen hinaus sein.
    Eva hatte sie ursprünglich heißen sollen. Eine zweite zarte blonde Tochter habe sie sich gewünscht, erzählte Greta, während Richard auf einen kräftigen gesunden Jungen hoffte. Leider kam ein dickes haarloses Mädchen zur Welt, eines, das so gar nicht zu dem schönen Namen passen wollte, den Greta sich ausgesucht
hatte. Richard, dessen Enttäuschung über den erneut ausgebliebenen Stammhalter zu groß war, um sich auch nur an der Namensgebung zu beteiligen, gab Greta freie Hand. So kam sie zu ihrem Namen, Marta, der ihr nie gefallen hatte. Ein kleines dunkles Geschöpf sei sie gewesen, ein Kind, das angeblich wenig Arbeit machte, nicht nach seiner Mutter weinte, nicht liebkost werden wollte, stundenlang allein im Laufstall saß, mit sich selber spielte und nur dann unruhig zu werden begann, wenn es Hunger hatte oder die Windeln voll. Kein Traumkind, aber pflegeleicht. Dass Marta von Anfang an eigenartig gewesen sei, soll Greta einmal gesagt haben, so anders als die immer fröhliche Sophia, dass sie überlegte, einen Arzt zu befragen. Richard lehnte ab. Kinder, die er gezeugt hatte, waren nicht merkwürdig, Greta solle nur richtig mit ihr umgehen und froh sein, dass sie mit ihr wenig Arbeit hatte. Dabei blieb es, bis Marta zwölf war und das zu werden begann, was Richard »schwierig« nannte, aber zu diesem Zeitpunkt redete keiner mehr viel in dieser Familie.
    Wahrscheinlich waren wir beide miteinander überfordert, Greta als meine Mutter, ich als ihre Tochter, denkt Marta. Falsche Paarung, eine Zumutung jede für die andere, so etwas kann vorkommen. Gut für Greta, dass die liebenswerte Sophia noch da war. Und später Kati, die zart und kränklich war, was in Greta all die Liebe und Fürsorge wachrief, die ihr zur Verfügung stand. Nach ihrer Rückkehr nach Deutschland schien dieses Baby das Einzige zu sein, das Greta Freude bereiten konnte.
    Vielleicht war aber auch alles ganz anders. Egal. Zu spät.
    Greta kann froh sein, zwei »gelungene« Töchter zu haben, wie Richard es ausgedrückt hätte. Für ihn waren Häuser und Nachkommen im besten Fall »gelungen«, als hätte man beides nach eigenen Plänen konstruiert. Was sollte man mit einer wie ihr, der Mittleren, die weder ein Sohn noch wohlgeraten war, die
den Namen der Familie beschmutzt hatte, die seltsam und spröde von Anfang an war? Man konnte sie vergessen.
    Anscheinend hat Greta genau das nicht getan, denkt Marta, während sie ein
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