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An Paris hat niemand gedacht

An Paris hat niemand gedacht

Titel: An Paris hat niemand gedacht
Autoren: Veronika Peters
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Tee, erzählt von Spinnen und Leoparden.

    Die Mädchen haben ihren Sohn aus den Fluten gerettet und das Gold, das er am Leib trug, zum Lohn erhalten. Kein Kind muss geopfert werden, für nichts, erklärten sie der dankbaren Königin. Jetzt spielt das Königskind friedlich vor den Augen seiner Mutter, die das schöne Haus bewundert: »Hätte ich solch ein Wunderhaus besessen, nie mehr hätte ich vor meinen Feinden fliehen müssen, mein Kind wäre für immer in Sicherheit gewesen!«
    »Sing ich dir ein Lied,
denk ich dir ein Haus,
bau ich dir ein Heim aus Liedern draus!«
    Einmal erwischt sie Mamadou auf seinem abendlichen Kontrollgang. Aber er ist kein Verräter, und ein im Dunkeln singendes Kind gehört nicht zu den Dingen, die er für ungewöhnlich hält.
    Er sagt nur: »Leise, morgen ist Zeit für eine neue Geschichte«, lächelt und hebt einen Finger an die Lippen, der im langsam schmaler werdenden Lichtschein des Türspalts für einen Moment zur winkenden Hand wird.

II
Eine Tochter

    Dieses Gesicht, als wäre es in Eiche geschlagen. Oder aus einem Material, das eigens dafür geschaffen wurde. Kreuzung aus Frost und Granit: eiskalt, steinhart und schmilzt nicht.
    Scharfe Kanten, tief eingeschnittene Linien rechts und links des Mundes, in denen sich bei winterlichem Gegenwind der Schnee sammeln könnte.
    Marta hätte sie nicht erkannt, wenn sie zufällig in der Stadt an ihr vorbeigegangen wäre.
    Die Frau schaut nach unten, auf einen Punkt zwischen ihren Füßen, der mehr Aufmerksamkeit zu verlangen scheint als die Kamera.
    Kann man die Augenfarbe der eigenen Mutter vergessen?
    Grau, hätte sie geschworen, aber Kati sagt, sie sind grün-blau, Martas nicht unähnlich, nur dass ihre da, wo Gretas blau sind, ins Bräunliche driften.
    Mit leicht drehender Bewegung segelt das Bild dem marmorierten Steinboden entgegen. Marta zögert, widersteht dem Reflex, mit dem Fuß draufzutreten, es unter die Bank zu schieben, der hochglänzenden bunten Fläche Kratzer zuzufügen, bückt sich dann doch, um mit spitzen Fingern danach zu greifen, als hielte sie den Schwanz einer toten Maus. Im Aufrichten begegnen ihr Pauls Augen, forschend, dann amüsiert, als er merkt, dass sie ihn abzuschütteln versucht. Für den Bruchteil einer Sekunde sieht sie sich im Spiegel seines Blicks und denkt: es macht
die Sache nicht leichter, um die eigene Lächerlichkeit hinter der Fassade aus mühsam inszenierter Souveränität zu wissen.
    Sie schiebt das Foto über den Tisch zurück, während Kati keine Anstalten macht, danach zu greifen.
    »Hatten wir nicht eine Abmachung?«
    »Sie hat nach dir gefragt.«
    »Habe ich nach ihr gefragt?«
    »Nein, aber …«
    »Steck das wieder ein.«
    Pauls Hand legt sich unter dem Tisch auf Martas Schenkel, bleibt mit leichtem Druck dort liegen wie etwas Verlässliches.
    »Kann ich mal sehen?«
    Bevor Marta protestieren kann, reicht Kati ihm Gretas Foto und verschwindet unsicher lächelnd in Richtung Toilette.
    Paul betrachtet fast schon aufreizend lange das Bild, streicht eine abgeknickte Ecke mit dem Fingernagel glatt.
    »Sie hat ein interessantes Gesicht: unzugänglich, aber auf eigenwillig-herbe Weise attraktiv. Ein Portrait von ihr wäre eine Herausforderung; würde ich gerne mal machen.«
    »Lass das bitte, das ist nicht lustig.«
    »Hast du immer noch Angst vor ihr?«
    »Blödsinn! Ich will nichts mit ihr zu tun haben, das ist alles.«
    Angst? Es gibt keine Stelle, an der diese Frau sie berühren kann. Sie will diesem Gesicht keinen Raum im Speicher der Erinnerung geben, will nicht nervös werden angesichts der Frage, welchen Farbton ihre Augen haben, welchen Klang ihre Stimme, was sie sagen würde, wenn … Siebzehn Jahre Schweigen zwischen Greta und ihr sind noch lange nicht genug.

    Marta starrt auf die halbleere Zigarettenschachtel, räuspert sich, schüttelt wortlos den Kopf. Unnötig, Paul darauf hinzuweisen,
dass er ihr mit der Mutternummer nicht zu kommen braucht. Es schien ihn bisher nicht gestört zu haben, dass sie Fragen zu ihrer Vergangenheit oder ihrer Familie weitgehend unbeantwortet ließ. Einer der vielen Gründe, weshalb es leicht war, ihn zu lieben.
    »Findest du, dass sie mir ähnlich sieht?«
    »Nein.«
    »Gut. Ich habe keine Mutter mehr. Wenn mich jemand fragt, erzähle ich, sie sei gestorben.«
    »Ist sie aber nicht.«
    »Nein, ist sie nicht. Lass uns von etwas anderem reden.«
    »Solltest du nicht wenigstens mit Kati darüber sprechen?«
    Wieder schüttelt sie den Kopf, bittet ihn,
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