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An Paris hat niemand gedacht

An Paris hat niemand gedacht

Titel: An Paris hat niemand gedacht
Autoren: Veronika Peters
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nicht den Vermittler zu spielen. Als sie ihn plötzlich anherrscht, er solle nicht die unerträglich innige Verbundenheit, die in seiner Familie beschworen wird, zum Maß aller Dinge machen und sie mit solchem Zeug in Ruhe lassen, zuckt er mit den Schultern. Seine Hand bewegt sich in ihre Richtung, weicht kurz vor ihrem Gesicht zurück mit einer Geste, die ebenso hilflos wie verletzt sein könnte.
    Sie hatte ihn am Anfang ihrer Beziehung gewarnt, dass sie ihn enttäuschen würde, wie alle anderen vor ihm. Er hatte geantwortet, darauf würde er es ankommen lassen, und seit beinahe schon fünf Jahren erinnerte er sie mit steter Regelmäßigkeit daran, dass er noch immer auf die angekündigte Enttäuschung warte und ob Marta es nicht als gegeben hinnehmen könnte, dass er sie liebe. Bedingungslos. Ein Zauberwort, aber das konnte er nicht wissen.
    Eines Tages würde sie ihm alles erzählen, die ganze Geschichte. Irgendwann, wenn sie sich seiner sicher sein würde, wenn sie genau wüsste, dass sie gemeint war.

    Gretas Foto liegt zwischen ihnen. Die Zeit hat Spuren auf diesem Gesicht hinterlassen. Sie, Marta, sicher auch.

    War da eine Narbe auf dem linken Wangenknochen? Hatte Greta die früher schon gehabt? Was ist mit ihren Haaren passiert?
    Es geht mir gut ohne dich. Auch dir geht es besser ohne mich, glaub mir.
    Wegbleiben soll sie, nicht wieder in ihr Leben eindringen, nicht das mühsam errichtete Gebäude aus Überleben und Vergessen ins Wanken bringen, weder mit einem Bild noch mit Fragen nach ihr.

    Kati nimmt wieder Platz, kramt umständlich in ihrer Handtasche, ohne jemanden anzusehen. Paul reicht ihr das Foto, fragt, ob sie ihm auch eines von Sophia zeigen könne. Kati bedauert, keines dabei zu haben, aber sie würde gerne eines schicken, wenn er möchte oder … Sie bricht den Satz ab, schaut ängstlich auf Marta, die kurz zögert, dann entschieden ablehnt, obwohl es ihr im selben Moment leidtut.
    Sophia. Meine arme kluge schöne große Schwester.
    Sie hätte gerne gewusst, wie sie jetzt aussieht, weiter nichts, aber Kati könnte daraus die falschen Schlüsse ziehen, womöglich versuchen, ihr mit einem weiteren Puzzleteil den ganzen familiären Scherbenhaufen anzutragen. Sophia war die Einzige, die Marta gerne behalten hätte, nur sie fehlte ihr, nicht dringend, hin und wieder, kurz vor dem Morgengrauen nach einer schlaflosen Nacht, wenn sie durch die Straßen lief, um Paul mit warmen Brötchen zu überraschen. Dann konnte es geschehen, dass ihr Sophia einfiel, wie sie ihr Haar zu einem dicken Zopf flocht oder wie sie ihr Fahrrad anschob, um dann mit Schwung aufzuspringen, während es bereits den Abhang herunterraste. Sophia, die nach Minze roch, der Marta ein Haus aus Liedern gebaut hatte, jeden Abend, bis Sophia keines mehr brauchte.

    Warum machte Sophia sich nicht auf die Suche nach ihr? Weil sie Marta verraten hatte? Hatte sie das?

    Kati richtet sich auf, legt beide Handflächen fest auf den Tisch, als müsse sie sich im Gleichgewicht halten.
    »Ich muss dir noch etwas sagen. Von Papa.«
    »Du hältst dich wieder nicht an die Regeln.«
    »Marta, er ist unser Vater. Du musst das wissen, er ist schwer krank, er wird …«
    »Lass mich in Ruhe, Kati, ich will nichts über Richard wissen!«
    Auf Katis Wangen bilden sich rötliche Flecken, ihre Stimme wird rau, kippt zwischen zwei Tonlagen. »Ich weiß nicht genau, was damals passiert ist, ich war zu klein, um es zu verstehen, niemand hat versucht, es mir zu erklären. Mama sagte nur, du seist fort, und Papa meinte, ich sollte eine bessere Tochter werden, eine, die ihre Eltern nicht in den Dreck zieht und im Stich lässt. Sobald dein Name genannt wurde, rasteten sie jeder auf seine Art aus. Mama gefror; Papa fing an zu fluchen, verbot mir den Mund. Schließlich habe ich es aufgegeben, nach dir zu fragen, bis ich alt genug war, mich selbst auf die Suche nach dir zu machen. Irgendwann hat Mama rausbekommen, dass wir uns treffen, lange nachdem sie sich von Papa getrennt hatte. Da wollte sie dann über dich sprechen, doch ich musste dir ja zusichern, nichts zu sagen. Sie hat mich gebeten, auf jeden Fall Vater unseren Kontakt zu verschweigen, aber nachdem er seine Diagnose erhalten hatte, fragte er mich, ob ich dich verständigen könne. Was sollte ich da sagen? Was auch immer sie getan haben, sie zahlen einen hohen Preis, jeder auf seine Weise. Menschen können sich ändern, Marta. Sie haben sich alle geändert.«
    »Lass das!«

    Kati schaut erschrocken zu
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