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Morgenlied - Roman

Morgenlied - Roman

Titel: Morgenlied - Roman
Autoren: Random House
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PROLOG
    Mazatlan, Mexiko, April 2001
     
    Die Sonne zog rosige Streifen über den Himmel und glitzerte auf dem dunkelblauen Wasser, das gegen den weißen Strand schlug. Gage Turner hatte seine Nikes an den Schnürsenkeln über die Schulter gehängt und ging den Strand entlang. Seine verblichenen Jeans waren am Saum ausgefranst, und die warme Brise zerzauste seine Haare, die seit mindestens drei Monaten keinen Friseur mehr gesehen hatten.
    Im Moment wirkte er wahrscheinlich genauso ungepflegt wie die Typen, die noch schnarchend im Sand lagen, dachte er. Ein oder zwei Mal, als das Glück ihn verlassen hatte, hatte er auch am Strand geschlafen, bald schon würde jemand kommen und sie verjagen, damit sie den zahlenden Touristen keine Angst einjagten.
    Aber obwohl er dringend eine Dusche und eine Rasur brauchte, war das Glück im Moment auf seiner Seite. Er hatte in der Nacht am Kartentisch so viel gewonnen, dass er schon überlegte, ob er im Hotel nicht in eine Suite umziehen sollte.
    Die Strähne muss ich ausnutzen, dachte er. Morgen kann es schon ganz anders aussehen.
    Die Zeit ging rasch zu Ende: Sie rann ihm durch die
Finger wie der weiße, sonnenbeschienene Sand an diesem Strand. In drei Monaten wurde er vierundzwanzig, und langsam krochen die Träume wieder in seinen Kopf. Blut und Tod, Feuer und Wahnsinn. Hawkins Hollow war von diesem sanften tropischen Morgenrot weit entfernt. Aber es lebte in ihm.
    Er schloss die breite Glastür seines Zimmers auf, trat ein und warf die Schuhe auf den Boden. Er schaltete das Licht ein, schloss die Vorhänge und zog das gewonnene Geld aus der Tasche, um es zu zählen. Es waren etwa sechstausend US-Dollar. Nicht schlecht. Rasch rollte er die Scheine zusammen und steckte sie im Badezimmer in eine leere Rasierschaumdose.
    Er schützte, was ihm gehörte. Er hatte schon als Kind gelernt, seine Schätze vor seinem Vater zu verstecken, damit er sie nicht kaputt machen konnte, wenn er betrunken war. Zwar war er nie auf einem College gewesen, aber er hatte in seinen knapp vierundzwanzig Jahren eine Menge gelernt.
    In dem Sommer, als er mit der Highschool fertig war, war er aus Hawkins Hollow weggegangen. Er hatte seine Sachen gepackt und sich als Anhalter vom erstbesten Auto mitnehmen lassen.
    Entkommen, dachte Gage, als er sich auszog, um unter die Dusche zu gehen. Arbeit hatte er genug gefunden - er war jung, stark, gesund und nicht besonders anspruchsvoll. Aber während er Gräben aushob, Holz hackte und auf einem Fischkutter malochte, lernte er vor allem eins: Mit Karten konnte er mehr Geld verdienen als mit harter, körperlicher Arbeit.

    Und ein Spieler brauchte kein Zuhause. Er brauchte nur ein Spiel.
    Er trat in die Dusche und drehte das heiße Wasser auf. Es rann über seinen schlanken, muskulösen Körper, seine gebräunte Haut und seine dichten, dunklen Haare, die dringend geschnitten werden mussten. Müßig überlegte er, ob er sich Kaffee und etwas zu essen aufs Zimmer kommen lassen sollte, aber dann beschloss er, zuerst ein paar Stunden zu schlafen. Das war in seinen Augen ein weiterer Vorteil seines Berufs. Er kam und ging, wie es ihm beliebte, aß, wenn er Hunger hatte, schlief, wenn er müde war. Er stellte seine eigenen Regeln auf und brach sie, wenn es ihm passte.
    Niemand konnte ihm Vorschriften machen.
    Nein, das stimmte nicht, dachte Gage und betrachtete die dünne weiße Narbe an seinem Handgelenk. Seine Freunde, seine wahren Freunde, konnten ihm Vorschriften machen. Diese Freunde waren Caleb Hawkins und Fox O’Dell. Blutsbrüder.
    Sie waren am gleichen Tag, im gleichen Jahr, sogar zur gleichen Stunde geboren. Er konnte sich an keine Zeit erinnern, in der sie keine... keine Einheit gewesen waren. Der Junge aus der Mittelschicht, das Hippie-Kind und der Sohn eines gewalttätigen Alkoholikers. Eigentlich hätten sie gar nichts gemeinsam haben dürfen, dachte Gage lächelnd, aber sie waren schon Brüder gewesen, lange bevor Cal mit seinem Pfadfindermesser in ihre Handgelenke geschnitten hatte, um den Pakt mit Blut zu besiegeln.
    Konnte dieser Vorgang alles verändert haben?, fragte
sich Gage. Oder hatte er nur geöffnet, was immer schon auf sie gewartet hatte?
    Er konnte sich lebhaft an jeden einzelnen Schritt, jedes Detail erinnern. Es hatte als Abenteuer begonnen - drei Jungen, die am Vorabend ihres zehnten Geburtstags mit den Fahrrädern durch den Wald fuhren. Im Gepäck hatten sie Pornohefte, Bier und Zigaretten, was sein Beitrag war, dann Junk Food und Cola von
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