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An Paris hat niemand gedacht

An Paris hat niemand gedacht

Titel: An Paris hat niemand gedacht
Autoren: Veronika Peters
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Mundwinkel, Greta klopft ihr versöhnlich auf den Rücken. »Lass mich, Kind, ich werde dir vieles erzählen. Aber nicht heute.«

    Wir werden vielleicht wieder auseinanderfallen, denkt Greta. Erleichterung angesichts einer frisch verscharrten Leiche könnte als Verbindungsglied nicht ausreichend sein, und ob wir über Material verfügen, um andere Verknüpfungen herzustellen, bleibt äußerst fraglich. Kollektive Hilflosigkeit ist ein schlechter Nährboden für die neue Saat, von der ich nicht einmal weiß, ob sie eine ist. Frostkeimer womöglich, das würde zur Hoffnung berechtigen und einiges erklären.
    Aber jetzt sind wir hier.
    Wir sind zusammen auf dieser Veranda, die er als »in ihren Proportionen völlig daneben« verabscheute. Auch Marta ist noch nicht wieder in die Flucht geschlagen. Sie hat mit Sophia gesprochen, sie haben gemeinsam gelacht, und meine Jüngste hat sich von mir trösten lassen.
    Sieh mich an, Richard: Mich und meine Kinder!
    Ich habe gewonnen!
    Und sei es nur für diesen Moment.

V
Café de la Madeleine im Oktober

    Zwei Frauen, die gestern schon einmal hier gewesen sind, betreten das Café an der Ecke Rue Chauveau-Lagarde/Rue Tronchet. Der Kellner nickt ihnen einen Gruß zu, den die Jüngere freundlich erwidert. Frühstück auf Französisch: Kaffee, Croissants und für die Ältere einen frisch gepressten Saft. Sie sitzen an einem der runden Marmortische am Fenster mit Blick auf die Straße, wo sich der Verkehr, wie immer am späten Vormittag, allmählich zum Chaos ballt. Im Café herrscht Hochbetrieb: Touristen legen auf dem Weg zwischen Champs – Élysées und Boulevard Haussmann eine Pause ein, einheimische Damen jenseits der fünfzig telefonieren, während sie petit café ohne Zucker bestellen, Männer in Anzügen lassen die Schlösser ihrer Aktenkoffer auf- und zuschnappen und beteuern ihren Tischnachbarn, dass sie längst irgendwo anders sein müssten.
    Die beiden Frauen am Fenster scheinen es nicht eilig zu haben. Sie breiten französische Zeitungen neben ihren Kaffeetassen aus, Le Monde die Jüngere, Vogue Paris die Ältere, und wechseln gelegentlich deutsche Sätze. Der Kellner bemerkt es ohne Verwunderung. Dass sie sich mit ihm auf Französisch verständigen können, genügt ihm. Eine Mutter verbringt mit ihrer Tochter ein ruhiges Wochenende in Paris. Das ist nichts Besonderes.

    »Schau mal die da hinten«, sagt Greta.
    Marta blickt von ihrer Zeitung auf. »Wo?«

    »An der Säule, die Dame in Hellblau.«
    »Was ist mit der?«
    »Das ist die Sorte Pariserin, die sich in der Sicherheit des 8. Arrondissements wohl fühlt.«
    »Ach ja?«, sagt Marta und wendet sich wieder der Lektüre zu.
    »Bon chic, bon genre«, fährt Greta fort, »Twinset, Perlen, Hermès-Tuch und die Taschen mit der Beute vom Raubzug durch die Rue du Faubourg um den Sitzplatz drapiert.«
    »Was erbeutet man denn in der Rue du Faubourg?«, fragt Marta und schaut sich die vermeintliche Pariserin genauer an.
    »Gucci, Prada, Chanel, Armani, Burberry, Salvatore Ferragamo.«
    »Alle in einer Straße?«
    »Quasi.«
    Marta zuckt mit den Schultern. »Wenn’s hilft.«
    Greta lacht leise und blättert in ihrer Zeitschrift. Issey Miyake hat eine neue Adresse in Paris, Liv Tyler wirbt für Givenchy, Angelina Jolie dreht einen Film mit Clint Eastwood.
    »Wir könnten auch ins Kino gehen«, sagt Greta, »ich meine, in die Nachmittagsvorstellung.«
    »Warum nicht?«
    Als der Kellner an ihrem Tisch vorbeikommt, bestellt Greta zwei weitere Tassen Kaffee.
    »Du wolltest doch noch eine, oder?«, fragt sie.
    »Ja«, antwortet Marta und vertieft sich in einen Artikel.
    Am Nachbartisch installiert sich ein junges Paar, beide schön und aufgeregt in ihren hilflos übertriebenen Gesten. Sie reiben Nasen und Hände aneinander und bemerken kaum die Bedienung, die mit dem Block in der Hand neben ihnen steht und sich dezent räuspert.
    Greta trinkt ihren Kaffee in kleinen Schlucken, fegt Blätterteigkrümel
von Schoß und Kragen, streckt ihre Beine unter dem Tisch aus und gibt einen Seufzer des Behagens von sich.
    »Paris ist laut, hektisch, überfüllt und schmutzig. Ich weiß nicht, warum ich diese Stadt so mag. Aber wahrscheinlich geht es dir mit Berlin genauso.«
    »Die Ecke, in der ich wohne, ist eigentlich ganz friedlich«, sagt Marta und faltet einen Teil ihrer Zeitung zusammen.
    »Und«, fragt Greta, »unternehmen wir nachher was?«
    Marta zögert, zieht dann einen Stadtführer aus ihrem Rucksack.
    »Laut Plan ist es nicht weit
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