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An Paris hat niemand gedacht

An Paris hat niemand gedacht

Titel: An Paris hat niemand gedacht
Autoren: Veronika Peters
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Marta, seufzt, schüttelt traurig den Kopf und beginnt mit dem Zuckerbeutel zu spielen, der neben ihrer Tasse liegt, bis er knisternd in ihrer Faust verschwindet.
    »Schon gut, entschuldige. Ich dachte, du solltest es erfahren, aber du willst keinem eine Chance geben, oder?«
    Marta starrt sie an, bis Kati den Kopf senkt, nochmals eine Entschuldigung murmelt, zu ihrem Taschentuch greift und sich geräuschvoll die Nase schnäuzt. Einen Moment lang fürchtet Marta, ihre Schwester könnte in Tränen ausbrechen, aber sie fängt sich wieder. Dankbar ringt Marta sich ein Lächeln ab, zündet die vierte Zigarette innerhalb einer Stunde an, schaut auf die Uhr und ruft eine Spur zu laut, dass sie einen wichtigen Termin habe, den sie beinahe vergessen hätte, leider müsse sie sofort gehen. Paul, auf den in solchen Situationen Verlass ist, nickt ohne jedes Zeichen der Verwunderung und bittet den Kellner, die Rechnung zu bringen.
    Katis Enttäuschung ist offensichtlich, sie ist nur diesen einen Tag in der Stadt und hat noch kaum etwas von sich erzählt. Obwohl ihre seltenen Begegnungen meist durch Martas Aufbruch beendet werden, hält sie in der Regel eine Zeit lang Katis Redebedürfnis stand, hört sich Geschichten über schlechtgelaunte Patienten, arrogante Oberärzte und den stressigen Krankenhausalltag an, bemüht sich, an den richtigen Stellen zu nicken, so interessiert wie möglich zu erscheinen. Marta kann nicht sagen, ob sie Kati gernhat. Gretas Lieblingskind ist eine magere, unscheinbare Person, die mit vierundzwanzig noch so unreif aussieht, dass sie beim Betreten eines Clubs nach ihrem Ausweis gefragt würde. Schwer vorstellbar, dass sie überhaupt auf die Idee käme, in einen zu gehen. Sie ist freundlich, seltsam zutraulich, beklagt sich nicht darüber, dass sie von Marta grundsätzlich in einem Café oder Restaurant empfangen wird, nie in
ihrer Wohnung. Als sie Marta einmal einlädt, sie bei sich zuhause in Frankfurt zu besuchen, nimmt sie die Ablehnung zur Kenntnis, ohne Anzeichen einer Verstimmung zu zeigen. Kati fragt kein zweites Mal.
    Man sollte seine kleine Schwester wahrscheinlich besser behandeln, als ich es tue, denkt Marta, was weiß sie schon. Kati war sieben, als sie ging. Vor drei Jahren hat sie bei Nachforschungen über die verschollene ältere Schwester, an die sie sich dunkel erinnern konnte, Martas Adresse herausbekommen. Mit »reine Neugierde« begründete sie ihren Wunsch, sie zu sehen. Sie klang locker am Telefon, sagte, sie wolle nichts Bestimmtes, »nur mal wissen, wie du so bist«. – »Die große Schwester kann ich dir nicht machen.« – »Ich will mit dir einen Kaffee trinken, nicht bei dir einziehen.«
    Da sie versprach, den Rest der Familie nicht ins Spiel zu bringen und Marta einen Menschen nicht danach beurteilen wollte, wie er als Kind war, fand sie keinen Grund, ihre Bitte auszuschlagen. Vielleicht war das ein Fehler.

    »Bist du mir jetzt böse?«
    »Nein.«
    »Sehen wir uns wieder?«
    »Sicher. Ruf an, wenn du mal wieder in der Stadt bist.«
    Beim Ausgang schreibt Kati etwas in ihren Kalender, flüstert »ich habe es versprochen«, reißt die Seite heraus und hält sie mit einer Bewegung hin, die auf halber Strecke stehen bleibt, so dass Marta sich zu ihr beugen muss, bevor sie wieselflink durch die Tür gehuscht ist. Eine Telefonnummer, Sophias Name daneben. Was soll das? Versprochen? Wem?
    Ist es möglich, dass Sophia damals von alldem nichts wusste? Sie war mit Hans Mersburger befreundet, sie hätte sie warnen
können, Raphaelas Nummer stand im Telefonbuch, und Sophia wusste, dass Marta bei ihr war. Von der Straße gezerrt, eingefangen wie ein Tier, verprügelt, gewürgt, ins Auto gestoßen, hatte Sophia das hingenommen? Und alles, was vorher war? Was zählte das?
    Sinnlos, ein zerbrochenes Gefäß kitten zu wollen. Allein die Suche nach den Bruchstücken würde zu viel Zeit in Anspruch nehmen. All das ist lange her.
    »Mir geht es gut«, sagt sie im Hinausgehen, was Paul nicht kommentieren zu müssen glaubt. Von Kati ist nichts mehr zu sehen.

    In der Abenddämmerung durch die Stadt fahren, Lichter, Häuser, Menschen im blauen Halbdunkel vorbeiziehen lassen, nur Gas, Kupplung und Bremse denken, nichts ist besser, um das Hirn zu beruhigen. Als wäre sie, solange das Auto bedient werden muss, von allem anderen befreit.
    An der Ampel steht eine alte, mit zahllosen Plastiktüten beladene Frau. Sie redet auf einen struppigen lehmfarbenen Köter ein, der heftig mit dem Schwanz
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