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An einem Tag im Winter

An einem Tag im Winter

Titel: An einem Tag im Winter
Autoren: Judith Lennox
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Destilliergeräten. Zwei aneinandergeschobene Schreibtische nahmen die Mitte des Raumes ein, der eine leer bis auf eine Lampe und ein Tintenfass, der andere mit Papieren, Schreibgeräten, Labortagebüchern und Rechenschieber beladen. In eine Ecke hatte man einen Aktenschrank aus schwarzem Metall gequetscht, Bücher und Archivboxen waren auf langen Borden gestapelt. An einer Wand hing ein französischer Kalender.
    Â»Mein letzter Arbeitsplatz war auch nicht gerade der reine Luxus, Dr. Finch«, sagte Ellen. »Vier Leute in einem Raum von der Größe einer Abstellkammer, und draußen vor der Tür ein Bombenkrater.«
    Â»Nennen Sie mich doch einfach Martin, Miss Kingsley. Und einen Doktortitel hab ich auch nicht. Ich bin nur ein schlichter Mister. Soll ich Ihnen in aller Kürze etwas über die anderen erzählen?«
    Â»Das wäre nett, ja.«
    Â»Wir haben hier zwei Gruppen von Wissenschaftlern, ich nenne sie Alpha und Beta.«
    Â»Und welches ist die Alphagruppe?«
    Â»Wir natürlich. Wir sind weniger, aber wir sind schlauer. Wir sind die Proteingruppe. Die Phagengruppe – die Betas – sitzen drüben auf der anderen Seite des Hauses. Wir sind hier ungefähr zwanzig Wissenschaftler, dazu kommen verschiedene andere Mitarbeiter – Techniker, Sekretärinnen und dergleichen. Sie teilen sich das Labor hier mit Mam’zelle.«
    Â»Mam’zelle?«
    Â»Andrée Fournier. Wir nennen sie Mam’zelle. Sie ist Französin. Eher zurückhaltend. Kocht sich immer ihren eigenen Kaffee in einer kleinen Kammer nebenan, wo Männern der Eintritt unter Lebensgefahr verboten ist. Sie hat ein paar Wochen nach mir vor etwa einem Jahr hier angefangen und forscht über Myoglobin. Einige der älteren Männer sind schon weit länger hier. Wer hat denn mit Ihnen gesprochen, als Sie sich vorgestellt haben?«
    Â»Dr. Kaminski.«
    Â»Gott, der ist schon seit Ewigkeiten in Gildersleve. Seit dem Krieg, als hier im Auftrag der Regierung streng geheim geforscht wurde. Er ist Pole, ein kluger Kopf. Damals war er zunächst bei der Royal Air Force. Erst nachdem er bei einem Einsatz ziemlich böse zusammengeschossen worden war, ist er hier gelandet.«
    Ellen hatte bei ihrem Gespräch mit Dr. Kaminski die entstellenden Narben auf der einen Gesichtshälfte bemerkt und schon vermutet, dass sie das grausame Erbe des Krieges waren. Es war ihr schwergefallen, den Mann anzusehen, ohne Erschrecken oder Mitleid zu zeigen.
    Â»Kaminski ist Pharoahs rechte Hand«, fuhr Martin fort. »Er vertritt ihn, wenn er auf Reisen ist. Wie jetzt, wo er an einer Konferenz in Amerika teilnimmt. Padfield und Farmborough gehören auch zur alten Garde, beide kommen ebenfalls vom Militär. Padfield ist ein erstklassiger Schlagmann, er ist Kapitän unserer Kricketmannschaft. Im Sommer spielen wir ab und zu gegen die Kollegen aus Cambridge, wissen Sie, das macht allen immer einen Heidenspaß. Aber Kricket ist wahrscheinlich nicht gerade Ihr Ding, oder?«
    Sie lächelte. »Ach, ein bisschen kenne ich mich schon aus. Mein Bruder spielt mit Begeisterung.«
    Â»Padfield und Farmborough sind Chemiker, Kristallografen. Für die beiden müssen Sie in Zukunft Ihre Kristalle züchten. Und natürlich für Kaminski. Außerdem sitzt hier oben noch Toby Dorner. Physiologische Chemie. Er ist Jude und in den Dreißigerjahren aus Österreich rübergekommen, als er noch ein Kind war.«
    Â»Und der Mann, der uns auf der Treppe begegnet ist? Groß, dunkel?«
    Â»Sie meinen Jock? Er heißt eigentlich Alec Hunter, aber wir nennen ihn alle Jock.«
    Â»Dann ist er wohl Schotte?«
    Â»Gut kombiniert.«
    Sie konnte nicht sagen, ob seine Worte sarkastisch gemeint waren oder nicht.
    Â»Ich nehme an, Sie werden feststellen, dass wir alle ganz umgängliche Leute sind«, meinte Martin. »Bis auf Dr. Redmond. Er ist auch schon seit dem Krieg hier. Farmborough hat mir mal erzählt, dass er damals Pharoah vorgesetzt war. Er ist ein komischer Kauz.«
    Â»Warum sagen Sie das?«
    Finch trat ans Fenster. »Das da drüben ist das Cottage, in dem er lebt.«
    Sie blickte hinunter auf das hinter Gildersleve Hall gelegene Gelände, auf dem mehrere Nebengebäude standen, so auch der Schuppen, in dem sie ihr Fahrrad abgestellt hatte. In einiger Entfernung schimmerten die hohen Pappeln, die sie von der Straße aus gesehen hatte, und
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