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An einem Tag im Winter

An einem Tag im Winter

Titel: An einem Tag im Winter
Autoren: Judith Lennox
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der Deckel eines der Kartons aufflog. »Das macht doch nichts«, sagte Ellen. »Ich habe ja das Rad.«
    Martin hievte einen Karton auf den Vordersitz des Wagens. »Ich gehe heute Abend ins Green Man . Von den anderen wollen auch ein paar kommen. Wenn Sie Lust haben und mein Gequassel Ihnen nicht zu sehr auf die Nerven geht …«
    Â»Danke«, sagte sie, dann verabschiedete sie sich und fuhr los.
    Der Bungalow, in dem sie zur Untermiete wohnte, lag an einer Straße, die von Copfield nach Cambridge führte. Ihre Wirtin, Mrs. Bryant, war eine Kriegerwitwe Anfang dreißig und hatte eine zwölfjährige Tochter namens Gillian. Ellen aß mit den beiden zu Abend, bevor sie sich in ihr Zimmer zurückzog, um Briefe an ihre Eltern und ihren Freund, Daniel Risborough, zu schreiben.
    Daniel lebte in London mit seinem älteren Bruder zusammen in einer Wohnung in Marble Arch. Er war Sprachwissenschaftler und im diplomatischen Dienst angestellt. Sie hatten sich vor zehn Monaten im Zug kennengelernt – genauer gesagt, auf dem Bahnsteig. Daniel, der bei ihr im Abteil gesessen hatte, hatte beim Aussteigen seinen Schirm vergessen, und Ellen war ihm damit nachgelaufen. Er fragte, ob er sie zu einem Drink einladen dürfe. »Ich habe die ganze Fahrt schon überlegt, wie ich es anstellen soll«, sagte er. »Aber mir ist nichts eingefallen. Wie gut, dass ich meinen Schirm liegen gelassen habe.« Von da an trafen sie sich mehr oder weniger regelmäßig. Sie gingen zusammen in Konzerte und Kunstausstellungen, es gab Umarmungen und Küsse, und hin und wieder wurde zaghaft von Verlobung und Heirat gesprochen, ohne dass das Thema weiterverfolgt wurde.
    In ihrem Brief erzählte Ellen von ihrem ersten Tag in Gildersleve Hall, wobei sie besonders auf solche Dinge einging, von denen sie glaubte, dass sie Daniel interessieren würden: die Architektur des Hauses und die Verbindungen des Labors mit Cambridge (Daniel hatte dort am Trinity College studiert). Sie schloss mit einer Erinnerung an ihre Verabredung, sich im Oktober zum Mittagessen zu treffen (seine Vergesslichkeit beschränkte sich nicht auf Regenschirme).
    Als sie etwas später losging, um ihre Briefe aufzugeben, begann es schon dunkel zu werden. In der Dorfmitte überquerte sie den Anger und blieb vor der normannischen Kirche mit dem quadratischen Vierungsturm stehen. Die Strahlen der untergehenden Sonne vergoldeten Feuerstein und Backstein der alten Mauern. Der Briefkasten befand sich am Ende einer gewundenen Gasse, halb verborgen unter dem überhängenden Grün von Weißdornbüschen. Dahinter lagen ein ehemaliges Flugfeld der Royal Air Force und, daran anschließend, eine neue gemeindeeigene Wohnsiedlung, zur Unterbringung der Familien erbaut, die nach dem Krieg aus den zerbombten Städten geflohen waren und hier in den Nissenhütten Zuflucht gesucht hatten.
    Nach einem gemächlichen Rundgang kehrte Ellen schließlich wieder zur Mitte des Dorfs zurück. Gleich am Anger lag das Green Man, ein altes Pub mit bemoostem grauem Reetdach. Sie dachte an Martins Einladung und ging hinein.
    In der edleren Salonbar saßen zwei Pärchen und nippten in vornehmem Schweigen an ihren Getränken. Aus dem Schankraum scholl Lärm herüber, der sich verstärkte, als Ellen die Tür öffnete. Das Lokal war voll. Männer drehten die Köpfe nach ihr und musterten sie ungeniert von Kopf bis Fuß. Ein schneller Blick in die Runde zeigte ihr, dass sie außer der Bedienung die einzige Frau im Saal war.
    Martin saß an einem Ecktisch. Sie winkte ihm zu.
    Â»Ellen!« Er stand auf. »Sie haben doch nichts dagegen, wenn wir hierbleiben? Nebenan ist es so öde wie in einem Leichenhaus. Warten Sie, ich hole Ihnen etwas zu trinken. Was möchten Sie denn?«
    Â»Ein kleines Halbdunkles, bitte.«
    Sie setzte sich an den Tisch. Als Martin mit den Getränken zurückkam, fragte sie nach den anderen.
    Â»Sie haben es anscheinend nicht geschafft. Prost.« Er stieß mit ihr an. »Ich habe gar nicht mehr damit gerechnet, dass Sie kommen würden. Ich habe Sie vorher über den Anger spazieren sehen.«
    Â»Ich musste noch ein paar Briefe aufgeben.« Sie senkte die Stimme. »Wissen Sie, mein Zimmer ist zwar durchaus akzeptabel, aber die vielen verschiedenen Muster machen mich fast irre. Vorhänge, Bettdecke, Teppich, Bettvorleger, eins schlägt sich mit dem anderen.« Sie
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