Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
An einem Tag im Winter

An einem Tag im Winter

Titel: An einem Tag im Winter
Autoren: Judith Lennox
Vom Netzwerk:
vorstellen, dass große Ideen aus klösterlicher Stille erwachsen. Meiner Ansicht nach entwickeln sie sich eher in einem brodelnden Schmelztiegel, auch wenn das Gären und Blubbern mit einer gewissen Unruhe verbunden ist.«
    In der Stille, die folgte, fragte sich Ellen, ob außer ihr noch jemand im Raum gegen den Drang zu applaudieren anzukämpfen hatte.
    Dann erkundigte sich Bill Farmborough: »Wie war der Ausflug in die Staaten, Pharoah?«
    Â»Nützlich, sehr, sehr nützlich. Aber wir dürfen nicht nachlassen, meine Herren – den Schnellen gehört der Sieg.« Pharoah lächelte. »Und wenn mir nicht bald jemand eine Tasse Tee anbietet, gehe ich ein.«
    Â»Das wollen wir doch auf keinen Fall. Unser Herr und Meister – zu einem Häufchen Staub verpufft.« Farmborough setzte Wasser auf.
    Ein lebhaftes Gespräch über die Forschungsansätze, die im Institut verfolgt wurden, entspann sich nach Pharoahs Vortrag, unterschiedliche Meinungen prallten aufeinander, Hypothesen wurden unter die Lupe genommen und mit sachlicher Präzision seziert. Dann entschuldigte sich Marcus Pharoah und verschwand wieder.
    Ellen aß ihre Brote, Bill Farmborough kehrte zu seiner Zeitung zurück, jemand holte ein Schachbrett heraus, und Rosemary Clooney sang mit schmelzender Stimme: If you loved me half as much as I love you …
    Sie war wahrscheinlich von Anfang an ein Vaterkind gewesen. Ihr Vater, Offizier bei den Royal Engineers, war es gewesen, der ihre Begeisterung für die Mathematik und die Naturwissenschaften gefördert hatte, wo er nur konnte. Er hatte ihr gezeigt, wie man einen Motorradmotor auseinandernahm und wieder zusammensetzte, mit ihm zusammen hatte sie in der frostklaren Dunkelheit auf der Hochebene von Salisbury gestanden und einen Meteorschauer beobachtet.
    Ihre Kindheit war von einer endlosen Reihe von Umzügen geprägt gewesen. Und bei jeder Versetzung ihres Vaters zu einem anderen Militärstützpunkt hatten ein neues Haus, eine neue Schule, eine neue Umgebung und neue Menschen auf sie gewartet. Sie hatte gelernt, sich Namen zu merken und sich überall zurechtzufinden. Mit zwölf kam sie auf ein Internat in Buckinghamshire, dort war sie glücklich. Die Schule war ihr ein Zuhause, vor allem während des Krieges. Ein Lehrer hatte ihre naturwissenschaftliche Begabung erkannt und gefördert, und nach ihrem Schulabschluss studierte sie in Bristol Chemie und ging für ein Jahr in die Forschung. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie schon gemerkt, dass die reine Theorie nicht ihre Sache war. Ihre Begabung lag in der empirischen Forschung, im Experimentellen, wo ihr ihre methodische Intelligenz, ihre Beobachtungsgabe und ihre zähe Entschlossenheit zugutekamen, den Dingen auf den Grund zu gehen, die inneren Zusammenhänge zu prüfen und, so weit wie möglich, zweifelsfrei nachzuweisen.
    Als Thema ihrer Studienarbeit in ihrem letzten Jahr an der Universität hatte sie die Kristallografie gewählt. Sie hatte entdeckt, dass sie ein Händchen für die künstliche Herstellung von Kristallen hatte, deshalb vor allem war ihr der Posten als Forschungsassistentin in Gildersleve Hall angeboten worden. Dieser Aufgabe würde sie in Zukunft ihre Tage widmen: der Erforschung dieser winzigen, wunderbaren Splitter der Vollkommenheit.
    Als Ellen am späten Nachmittag ihr Fahrrad aus dem Schuppen holen ging, kam ihr aus einem der Nebengebäude ein kurzbeiniger, stämmiger Mann in einer Tarnjacke entgegen, der einen gestromten Bullterrier an der Leine führte. Auf ihr »Guten Abend« antwortete er mit einem scharfen Blick und einem kurzen Nicken.
    Sie schob das Fahrrad auf den gekiesten Vorplatz, wo Martin mit Mühe mehrere Kartons in einen kleinen Austin verfrachtete, der dort parkte.
    Â»Die sehen schwer aus«, bemerkte sie.
    Martin hob den Kopf. Sein Gesicht war hochrot, der Haaransatz über seiner Stirn glänzte feucht. »Sie wiegen Tonnen«, sagte er. »Haben Sie Ihren ersten Tag gut überstanden?«
    Sie lachte. »Einigermaßen.«
    Â»Am Anfang fand ich’s fürchterlich hier. Ich bin mir vorgekommen wie der Neue in der Klasse. Am liebsten wäre ich postwendend wieder abgehauen.« Er warf einen Blick auf die Kartons. »Ich würde Sie ja mitnehmen, aber ich muss das Zeug hier zu Mrs. Pharoah bringen. Sie gibt irgendeinen Wohltätigkeitsempfang.«
    Stapel von Tellern wurden sichtbar, als
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher