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Amputiert

Amputiert

Titel: Amputiert
Autoren: Gord Rollo
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gut draußen stehen. Die Brücke an der Carver Street, etwa neun Meter über uns, trug ein wenig dazu bei, uns zu schützen, allerdings mussten wir dafür die klapprigen alten Güterzüge ertragen, die alle zwölf Stunden über uns hinwegdonnerten, Tag und Nacht.
    Es waren entsetzliche Lebensumstände. Entwürdigend. Wir waren wie Kanalratten – oder noch schlimmer; die Ratten waren wenigstens zu dumm, um zu begreifen, wie beschissen ein solches Leben wirklich war. Das Beste, was ich über unseren lausigen kleinen Winkel der Welt sagen konnte, war, dass ich durch die Lage unter der Brücke wenigstens nicht besonders weit gehen musste, um mich umzubringen. Was durchaus gut war, denn ich fühlte mich erschöpft, geistig und körperlich. So verdammt erschöpft, dass ich nicht sicher sein konnte, ob ich genug Kraft haben würde, um die schlammige Böschung rechtzeitig für den nächsten Zug zu erklimmen.
    So leise wie möglich stieg ich mit einem kleinen braunen Päckchen in der Hand über den weggetretenen Blue J hinweg. Er lag ausgestreckt in seiner üblichen spätnachmittäglichen Position und blockierte unsere behelfsmäßige, aus einer Plastikplane bestehende Tür. Ich steckte meine letzten vierzig Cent – einen Quarter und drei Nickel – in seine Hemdtasche, wünschte ihm stumm Glück und schlich hinaus, ohne ihn zu wecken.
    Draußen saß Puckman auf dem Boden und lehnte an einem der rechteckigen Betonstützpfeiler der Brücke, etwa fünf Meter zu meiner Linken. Er war damit beschäftigt, etwas zu essen, das wie eine große Ratte aussah, jedoch ebenso gut eine kleine braune Katze sein mochte. Die gewöhnliche Gesellschaft würde über solche Kost wohl die Stirn runzeln, aber in dieser Gegend war eine Mahlzeit eine Mahlzeit. Wahrscheinlich war das Tier von einem Auto erfasst worden und hatte irgendwo auf der Straße geklebt. Überfahrene Viecher zählten zwar nicht unbedingt zu den Grundnahrungsmitteln einer ausgewogenen Obdachlosenkost, aber in harten Zeiten aß man, was immer zur Verfügung stand. Es ging doch nichts über einen halb verbrannten, halb rohen Brocken unidentifizierbaren Fleisches, auf dem noch die Abdrücke eines LKW-Reifens zu sehen waren. Das mochte eklig sein und Brechreiz auslösen – manchmal brachte es tatsächlich zum Kotzen –, aber auf der Straße tat man, was notwendig war, um zu überleben.
    Jedenfalls kaute Puckman gerade auf irgendetwas , als sich der Blick seiner glänzenden, kleinen Augen in meine Richtung drehte und auf mich heftete. Sein Gesicht verzog sich zu einer zornigen Grimasse, und ob Sie es glauben oder nicht, er begann zu knurren. Offensichtlich hegte er nicht die Absicht, sein Mahl mit mir zu teilen. In der Hinsicht hatte er nichts zu befürchten. An diesem Tag wollte ich mit dem verrückten Mistkerl nichts zu tun haben.
    Puckman war nicht mein Freund. Er war es nie gewesen und würde es nie werden. Blue J und ich ertrugen ihn nur, weil er für die Mitbenützung des Müllcontainers Miete löhnte, wenn man es so bezeichnen wollte. Manchmal bezahlte er mit Geld, häufiger jedoch versorgte er uns mit Lebensmitteln und Kleidern. Er war ein guter Bettler und ein noch besserer Dieb. Abgesehen davon hielt ich ihn für einen nichtsnutzigen, lausigen Penner. Typen wie er rückten den Rest der obdachlosen Bevölkerung in ein schlechtes Licht.
    Puckman war ein kleiner, fetter Mexikaner mit schmierigem schwarzem Haar, das ihm halb den Rücken hinabhing. Die meiste Zeit wusste er nicht einmal, wo er sich befand, viel zu blau von selbst gepanschtem Rum, um zu begreifen, dass er nicht mehr im sonnigen Acapulco herumgammelte, oder woher er auch stammen mochte. Er war vor drei Sommern mit einem befristeten Arbeitsvisum nach Kanada gebracht worden, um Tabak zu ernten. Die Arbeit an sich war zwar hart, aber die Leute wurden gut behandelt und hervorragend bezahlt. Allerdings war sein fetter, fauler Arsch der Plackerei nicht gewachsen, und er hatte sich in Richtung US-Grenze verdrückt, um in der Nähe von Fort Erie durch den Niagara River zu schwimmen und in die Heimat der Tapferen, in das Paradies der Schmarotzer zu gelangen.
    Der Name Puckman ging auf seine lästige Besessenheit für Eishockeypucks zurück. Er hatte Hunderte davon in der ganzen Stadt gesammelt und in Dutzenden weißen Plastiktüten in seiner Ecke der Mülltonne verstaut. Er hatte so viele der verdammten Dinger, dass er gezwungen war, darauf zu schlafen, doch das schien ihn nicht zu stören. Zu mir hatte er mal gemeint,
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