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Amputiert

Amputiert

Titel: Amputiert
Autoren: Gord Rollo
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haben.
    Da öffnete sich die fahrerseitige Hecktür, und ein großer, muskelbepackter Mann in einem teuren, grauen Nadelstreifenanzug trat auf die Carver Street. Er blickte mich an, bückte sich, um etwas zum Fahrer zu sagen, und kam auf die Brücke. Er war ein Weißer mit kahlem Schädel und sauber gestutztem Goatee, knapp eins neunzig groß und geschätzt mindestens hundertdreißig Kilo schwer. Meine Überraschung schlug schnell in Bestürzung um, denn als er sich näherte, erkannte ich, dass auch ervertraut wirkte. Wo, zum Henker, hatte ich diesen Kerl und sein Auto schon mal gesehen? So sehr ich es versuchte, ich konnte mich einfach nicht erinnern.
    Was will er?
    Das war eine gute Frage. Allerlei garstige Szenarien gingen mir durch den Kopf. Schuldete ich jemandem Geld, der dieses Ungeheuer losgeschickt hatte, um es einzutreiben? Das sähe meinem Glück ähnlich – ich kam hierher, um Selbstmord zu begehen, und ein großer Primat würde mir die Beine brechen, bevor ich es tun könnte. Ich spielte ernsthaft mit dem Gedanken, zur anderen Seite der Brücke zu flüchten, doch was er sagte, ließ mich innehalten.
    »Warten Sie, Mr. Fox. Ich muss mit Ihnen über etwas Wichtiges reden. Etwas wirklich Wichtiges.«
    Woher kannte er meinen Namen? Ich hatte Angst, dennoch flüchtete ich nicht. Ich wartete, bis er sich auf fünf Meter genähert hatte.
    »Das ist nah genug«, sagte ich. »Was wollen Sie?«
    »Nichts. Nur fünf Minuten mit Ihnen reden. Vertrauen Sie mir, es wird Ihr Schaden nicht sein.«
    Darüber lachte ich. Hätte ich einen Nickel für jedes Mal, wenn mir auf der Straße jemand beteuerte, ich könne ihm vertrauen, nun, ich schätze, dann wäre ich kein obdachloser Gammler mehr. Aber ich war obdachlos, und ich würde nicht darauf hereinfallen.
    »Ob Sie’s glauben oder nicht, das habe ich schon mal gehört«, entgegnete ich. »Wenn ich schon von meinen sogenannten Freunden verarscht wurde, warum sollte ich einem völlig Fremden wie Ihnen vertrauen?«
    »Weil ich nicht wirklich ein Fremder bin. Erinnern Sie sich nicht an mich, Mr. Fox? Wir sind uns vergangene Nacht kurz begegnet. Sie waren ziemlich neben der Spur. Haben Sie es vielleicht vergessen?«
    Seine Worte lösten eine Erinnerung daran aus, wie mir ins Gesicht geschlagen und ich grob auf einen abgewetzten, grünen Teppichboden geschleudert wurde; keine besonders angenehme Erinnerung also. Ich hatte genug gehört und beschloss, doch vor diesem mysteriösen Kerl wegzurennen. Aber bevor ich den ersten Schritt getan hatte, lichtete sich mein verworrenes Gedächtnis, und ich entsann mich tatsächlich, ihm begegnet zu sein. Allerdings war nicht er es gewesen, der mich geschlagen hatte, sondern jemand anders. Dieser Mann hatte versucht, mir zu helfen.
    Ja, nun erinnerte ich mich wieder. Ich wollte groß ausgehen, ein letztes Mal versuchen, mich in diese verrückte Welt zu fügen, bevor ich ihr auf Nimmerwiedersehen sagte. Nachdem ich Blue J und die junge Frau verlassen hatte, holte ich mir von der nächstgelegenen katholischen Kirche neue Kleider. Sie waren alles andere als modisch, aber sauber, trocken und – am besten von allem – kostenlos. Ich wusch mich und ging in eine der Bars in der Gegend, um zu trinken. Es war ein dummer Fehler. Ich hatte schon vor dem Verlassen des Müllcontainers mit Puckman getrunken – Traubenlimonade und billigen Gin –, und ich schmuggelte eine Flasche in die Bar. Als ich ankam, war ich bereits fast zu betrunken, um aufrecht zu stehen, doch daran schien sich niemand zu stören. Erst, als mich der Barkeeper dabei ertappte, wie ich aus der Flasche trank, statt Drinks zu bestellen, brach die Hölle los. Er hetzte mir einen Rausschmeißer auf den Hals, der mich auf die Straße befördern sollte, doch ich war zu dämlich, um still und leise von dannen zu ziehen. Ich doch nicht. Nein, ich legte es auf einen Streit mit diesem Berg von einem Mann an, und schon bald schmeckte ich seine mächtig große Faust und stemmte mich vom Boden hoch.
    »Sie haben mir geholfen, nicht wahr? Dieser Rausschmeißer wollte mit mir gerade den Boden aufwischen, als Sie eingegriffen und ihn weggeschleift haben. Dann brach eine allgemeine Rauferei aus, aber ich bin zum Nebeneingang hinausgehuscht und habe das Weite gesucht. Ihr Auto, die weiße Limousine dort, stand am Randstein geparkt. Ich wusste, ich hatte sie schon einmal gesehen.«
    »Genau. Und jetzt lassen Sie uns von dieser Brücke verschwinden und etwas trinken gehen. Hier donnert gleich der
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