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Amputiert

Amputiert

Titel: Amputiert
Autoren: Gord Rollo
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Titel ›Vater des Jahres‹.
    »Halt die Klappe!«, brüllte ich, womit ich bewirkte, dass nahe Fußgänger einen weiten Bogen um mich beschrieben.
    Woran es den Verrückten der Stadt nie mangelte, war Ellbogenfreiheit. Aber war ich verrückt?
    Richtig verrückt?
    Unkontrollierbar schluchzend sank ich auf dem Gehsteig auf die Knie, ignorierte die Frage einerseits, und beantwortete sie andererseits gleichzeitig. Wer weiß? Wen interessiert’s?
    Ich hatte es so satt, so zu leben.
    Ich wollte das Leid nur noch beenden. Mein Leid, das von Arlene ... das von allen. Auf den Knien betrachtete ich den Verkehr, der geräuschvoll auf der Straße neben mir vorbeizog. Es wäre so einfach, sich aufzurappeln und vor ein ...
    Halt , schalt ich mich. Du weißt, dass es nicht so passieren soll.
    Richtig.
    Ich hatte einen besseren Plan.
    Monatelang hatte ich darüber nachgedacht, die Dinge vorbereitet, Unsicherheiten geklärt. Nun brauchte ich nur noch den Mut aufzubringen, es durchzuziehen. Ich konnte es tun. Kein Problem. Mit mir hatte es ohnehin nichts zu tun. Es war alles für Arlene. Ich hatte jede Chance auf ein Leben zerstört, dass wir vielleicht gemeinsam hätten haben können, aber wenn es mir gelänge, mich ein letztes Mal zusammenzureißen, könnte ich ihr unter Umständen einen Start in das Leben ermöglichen, das sie verdiente. Das Leben, das ich ihr so selbstsüchtig gestohlen hatte.
    Dann tu es. Keine Ausreden mehr. Tu einmal in deinem erbärmlichen Leben das Richtige.
    Ich rappelte mich auf die Beine. Die Tränen waren getrocknet und längst versiegt. Mit geschlossenen Augen stand ich da und dachte an Arlene, während ich im Takt der Stadt schwankte. Ich hatte es nicht eilig, und es kümmerte mich einen Dreck, ob ich den Leuten im Weg herumstand.
    Morgen , beschloss ich.
    Ich musste noch einen Brief schreiben und ein Päckchen bei der Post aufgeben, aber morgen Nachmittag wäre perfekt. Natürlich hätte ich es auch noch an diesem Abend tun können, aber drauf geschissen; in dieser Nacht würde ich losziehen, um mich besinnungslos zu saufen.
    Warum auch nicht?

Kapitel 2
    Glauben Sie mir, ich hatte nicht vor, eine Träne wegen des Heims und der weltlichen Besitztümer zu vergießen, die ich zurücklassen würde. Soweit es mich betraf, war ich eher froh, sie loszuwerden. Alles, was ich besaß, war ohnehin Müll, altes Zeug, das andere Leute weggeworfen hatten. Ich würde nichts davon je wieder brauchen, soviel stand fest. Das war einer der wenigen Vorteile, wenn man beabsichtigte, sich umzubringen – man brauchte keine Koffer zu packen.
    Ich sollte mich besser erst mal anständig vorstellen. Tut mir leid, gestern saß mein Kopf nicht richtig auf den Schultern. Mein Name ist Michael Fox, Mike für meine Freunde, allerdings nannten mich die meisten Leute bloß einen Penner. Ich war obdachlos, das stimmte, aber fürs Protokoll: Ich war gewiss kein Penner. Vielmehr war ich ein recht gewöhnlich aussehender Weißer, neununddreißig Jahre alt, fünfundachtzig Kilo schwer, eins achtundsiebzig groß, mit einem Stoppelbart, der sich beharrlich weigerte, zu mehr als einem lückenhaften Flaum zu wachsen. Sicher, ich bettelte um Geld und Essen, aber ich arbeitete auch hie und da, wann immer ich konnte. Mit einem Teil des Geldes, das ich verdiente, kaufte ich Kleider, die ich regelmäßig im nächstgelegenen Selbstbedienungs-Waschsalon wusch. Im Wesentlichen versuchte ich, sauber, menschlich zu bleiben, so gut ich konnte.
    Die letzten anderthalb Jahre hatte ich in Buffalo, New York gelebt – nicht, dass es eine große Rolle gespielt hätte. Der Name der Stadt war irgendwie irrelevant. Mein eigentlicher Wohnsitz war ein blauer Metallmüllcontainer unter der rostigen Eisenbahnbrücke an der Carver Street. Aus irgendeinem Grund benutzte die Stadt den Container nicht mehr, also hatten Blue J, ich und ein weiterer obdachloser Verlierer namens Puckman ihn geerbt, auf die Seite gekippt, mit unserem jeweiligen nutzlosen Zeug vollgestopft, bezogen und fortan als unser trautes Heim verwendet.
    Es war immer kalt, immer beengt, und es stank nach billigem Fusel, Erbrochenem und etlichen Schichten dreckiger, mit Pisse und Scheiße besudelter Kleidung. Durch das Dach tropfte es so heftig herein, dass wir gezwungen waren, uns an einem Ende zusammenzukauern, um nicht völlig durchnässt zu werden, und das, wenn es sich nur um einen leichten Nieselregen handelte. Ging ein richtiger Schauer nieder, war es zum Vergessen – dann konnten wir ebenso
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