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Am Sonntag kommt das Enkelkind - und andere Einblicke in meine Wel

Am Sonntag kommt das Enkelkind - und andere Einblicke in meine Wel

Titel: Am Sonntag kommt das Enkelkind - und andere Einblicke in meine Wel
Autoren: Langen Müller
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Schnullerkids sagen nicht, wie ihre Altvorderen, zu einer Lokomotive Töfftöff oder Puff-Puff. Auf dem Kinderkarussell steuert ein Minimann weder das Feuerwehrauto von anno Tobak noch die fröhlichen weißen Pferdchen an, sondern das Motorrad, das so aussieht, als könnte man damit drei Omis und fünf Gänse auf einen Schlag erschrecken. Immerzu sagt so ein Knabe mit Kulleraugen »Hoppla, jetzt komm ich« – selbst dann, wenn er gar nichts sagt. Die Autofahrergeneration von morgen lernt eben beizeiten, was eine Harke ist. Wohlgemerkt die sprichwörtliche. Die echte kennen nur noch Bauernkinder und die Enkel von Schrebergärtnern. Stiegen die Kinder früher vom Kinderwagen direkt auf die eigenen Füße um, so rollen sie heute schon im Krabbelalter durchs Leben. Noch sitzen sie ein wenig schreckensstarr im knallbunten Plastikauto und werden von Papis geschoben, die ihrerseits schreckensstarr glotzen werden, wenn Junior erst den Führerschein hat und Vaters Hätschelauto zum Unfallwagen macht.
    Dem Plastikauto folgt das Laufrad (per Bein zu bewegen). Kluge Eltern sparen da schon auf das Dreirad mit Pedale. Das stärkt die Beinmuskulatur und sorgt dafür, dass Bubi keine Minderwertigkeitskomplexe kriegt, weil andere Kinder ihn nicht für voll nehmen. Es folgen Roller, Zweirad mit Stützrädern, Räder ohne, Mountainbike, Skateboard, Mofa und die Erkenntnis, dass der Mensch, der auf eigenen Füßen durch den Lebensdschungel stapft, ein bedauernswertes Kriechtier ist. Das Kind auf Rädern benutzt mindestens bis zum zehnten Lebensjahr den Bürgersteig. Die Verkehrsregeln schauen sich die Kleinen von Radfahrern ab, die das Gleiche tun. Von denen lernen sie, dass Mütter mit Kinderwagen, Hochschwangere, Kleinkinder und alte Menschen atmende Verkehrshindernisse sind, die die Risiken und Nebenwirkungen des Lebens selbst zu tragen haben. Wenn ich vor einem behelmten Kleinrowdy auf dem Rad verschreckt zur Seite springe, male ich mir aus, dieses Kind drängt es eines Tages in die Luft. Da wird es in null Komma nichts lernen, dass die Freiheit in den Wolken nicht grenzenlos ist. Fliegende Menschen dürften noch nicht einmal einen Baum streifen.

Kult ist ein ganz wichtiges Wort
    Kulturfilme wurden früher vor dem Hauptfilm gezeigt. Sie beschäftigten sich intensiv mit allem, was einschläfert, beispielsweise mit dem Liebesleben der Wespen oder mit der Verwendung von Küchenkräutern im Mittelalter. Schlauköpfe gingen erst ins Kino, wenn der Kulturfilm vorbei war. Dann gab es Eis und Reklame und Vergnügliches. Zum Glück sind Kulturfilme nicht mehr in Mode. Kultfilme dagegen sehr. Sie werden hauptsächlich von Menschen geschätzt, die Wiederholungen für Qualität halten. Casablanca gilt als der Kultfilm schlechthin, die Sissi-Filme halten mit. Es gibt einige Leute, die glauben, Karlheinz Böhm wäre früher Kaiser von Österreich gewesen, und Liz Taylor hätte Julius Cäsar geheiratet.
    Nicht nur beim Film hat das Wort Kult einen Stammplatz. Wir begegnen ihm auf Schritt und Tritt. Wer wie Goethe ein Stehpult hat, geblümte Porzellanschüsseln, wie sie früher in Dienstmädchenkammern standen, in sein Wohnzimmer stellt oder gar noch einen Brief mit Tinte, Verstand und Leidenschaft schreibt, ist durchaus ein kultiger Mensch. Als Mann trägt er Großvaters Perle in der Krawatte, als Frau rezitiert er beim Erbsenpulen aus dem eigenen Garten für das Enkelkind alle Strophen von Schillers Glocke.
    An dem, was wir für Kult halten, lassen sich die Strömungen der Zeit optimal ablesen. Genies, die die Summe von 31 und 14 im Kopf ausrechnen können, sind Kult, zwei Menschen auf einem Tandem auch und erst recht ein Bühnenschauspieler, der so deutlich spricht, dass man ihn noch in der letzten Reihe versteht. Über den Status von Aktentaschen, ohne die früher kein Mann mit Bedeutung aus dem Haus ging, soll demnächst entschieden werden.
    Seltsamerweise hat noch kein Kinderspielzeug Kultstatus erreicht. Vorzuschlagen wären die Laterna magica, die Vorläuferin des Fernsehgeräts, der Holländer, ein Fahrzeug aus Holz mit Lenker und vier Rädern, der Holzreif, der mit einem Stöckchen geschlagen wurde, und die Schaukelpferde, die eine echte Mähne aus Rosshaar hatten.
    Auch die Gastronomie hat Nachholbedarf. Arme Ritter, gebratene Weißbrotscheiben, mit allem zu belegen, was preiswert ist, würden in Krisenzeiten noch mal so gut schmecken, wären sie als Kultspeise auf der Karte aufgeführt. Kann es etwa sein, dass wir noch mehr Kult
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