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Am Sonntag kommt das Enkelkind - und andere Einblicke in meine Wel

Am Sonntag kommt das Enkelkind - und andere Einblicke in meine Wel

Titel: Am Sonntag kommt das Enkelkind - und andere Einblicke in meine Wel
Autoren: Langen Müller
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sitzt. Bei Sahnetorte schüttelt sie den Kopf, und wenn sie klug genug ist, die Zeit zu durchschauen, weiß sie, dass ihr Enkelchen lieber mit einem Handy spielt oder Fingerfarben an die Fensterscheibe klatscht, als sich mit Rotkäppchens Erlebnissen zu beschäftigen. Eine Großmutter, die ihren Nachkommen vorschlägt, am Kindergeburtstag Blindekuh zu spielen, hat nichts zu lachen; sie sollte sich ein für alle Mal die verständnislosen Blicke aus unschuldigen Kinderaugen zu Herzen nehmen.
    Die Heroinnen des Alltags, die für Kinderkummer Schokoladenpudding anboten, Grieß für eine Gottesgabe hielten und Sonntagskuchen gebacken haben, an die sich auch gestandene Manager nur mit Tränen erinnern, sind heute Urgroßmütter. Wer also nicht von Zeit zu Zeit Hausputz in seinen Träumen macht, sitzt ganz schnell im falschen Zug.

Hauptsache, das Handy steckt in der Tasche
    Wie haben wir eigentlich gelebt, ehe die Handys auf uns niederkamen? Drängelten wir uns vor Telefonzellen, schlugen wir die Trommel, schickten wir Brieftauben los oder zweifüßige Boten? Es ist kaum noch vorstellbar, wie wir in der Frühzeit der Kommunikation den Klempner ins Haus holten, die Teenager bei Laune hielten und von der Freundin erfuhren, dass ihr Mann in fremden Gärten weidete und ihr Chef auf schwarze Unterwäsche stand.
    Es existieren Beweise, dass der Mensch von vorgestern nicht ohne Ansprache war. Er schrieb Briefe und Postkarten und freute sich enorm, wenn andere das Gleiche taten. Das ermunternde Wort »Schreib mal wieder« war ihm Lebenscredo, die Füllfeder heilig. Selbst krankhafte Pessimisten befürchteten nicht, dass ein uniformierter Mensch – Briefträger genannt und immer pünktlich – nur Rechnungen und Reklamesendungen abliefern würde. Aus Amerika schrieb die Tante, aus Linsengericht die ehemalige Nachbarin, und Kinder, die ihr Schönschreibheft vollklecksten, bekamen zu hören, es würde mit ihnen böse enden.
    Das ist alles passé. Eine schöne Handschrift zählt nicht mehr, orthographisch richtig braucht keiner mehr zu schreiben. Hauptsache, das Handy steckt in der Tasche. Wie sonst soll ein Kind die Eltern vorwarnen, dass es seine Jacke verloren und eine Fünf in Mathematik geschrieben hat? Ohne Handy müssten Bahnreisende auf den Chor der Männerstimmen verzichten, der bei der Einfahrt in die Bahnhöfe »Schatzi, stell das Kaffeewasser auf« säuselt. Und wie liebenswürdig wirkt doch unsere Jugend, wenn sie allerorten »Ich auch« in den Apparat haucht.
    Grau wäre das Straßenbild ohne das Heer von telefonierenden Frauen, die, sobald es klingelt, die Kernfrage »Wo bist du?« stellen. Das Baby im Kinderwagen greift nicht mehr nach der Rassel. Mamis Handy braucht der Wonneproppen, sollen sein Augen strahlen. Vorerst begnügen sich Hunde noch mit Wau und Knurr und Beinchen heben, aber warten wir nur ein Weilchen, dann gibt es Hundehalsbänder mit Handytaschen und Bulldoggen, die beim Gassigehen, statt zu schnüffeln, telefonieren. Wie haben sich Menschen früher ohne Handy die Zeit vertrieben, was taten sie in Kaufhäusern, auf der Straße, beim Friseur und auf der Parkbank? Haben sie geschwiegen, gelesen, gelacht, ihre Kinder angelächelt und Tauben gefüttert? Jedenfalls haben sie nicht pausenlos Unsinn verzapft. Das beweist das weise Sprichwort: »Reden ist Silber, Schweigen ist Gold.«

Gute Menschen und böse Mädchen
    Jede Zeit hat ihre Mode – in Wort und Bild und Vorstellung. Der Gentleman trägt heute weder Gamaschen noch Überzieher und er sucht sein Glück nicht bei den Frauen, denen er die Hand küsst und Taschentücher aufhebt. Der Stopfpilz, der das zu reparierende Loch sichtbar machte und einen festen Platz im Nähkörbchen hatte, ist nicht mehr. Auch das Nähkörbchen, aus dem die Damenwelt plauderte, ist out. Es wird nicht mehr geplaudert. Um Gerüchte in Umlauf zu setzen, empfehlen sich chatten, simsen und bloggen. Wer alte Menschen Senioren nennt, decouvriert sich als Auslaufmodell. Bestager sind die Powermenschen, die in ihrer Jugend für Tropfkerzen beim Chianti schwärmten und von einer Vespa träumten. Es bleibt eben nichts, wie es war. Noch nicht mal der Schuster bei seinen Leisten. Schuster gehören zu einer aussterbenden Gattung – Menschen, die neue Sohlen haben wollen, ebenso.
    Auch geschieden wird anders als früher. Fontanes Romanheldin Effie Briest war nach der Scheidung gesellschaftlich erledigt und gesundheitlich ein Wrack. Obwohl ihr Ehebruch rein theoretisch gewesen war, ließ
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