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Am Sonntag kommt das Enkelkind - und andere Einblicke in meine Wel

Am Sonntag kommt das Enkelkind - und andere Einblicke in meine Wel

Titel: Am Sonntag kommt das Enkelkind - und andere Einblicke in meine Wel
Autoren: Langen Müller
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Rechtschreibreform. In Berlin wird der Wonneproppen als Pfannkuchen bezeichnet; anderenorts ist er ein Berliner Pfannkuchen oder nur ein Berliner. In Franken, Österreich und Südtirol kommen Krapfen aus dem Backofen; in Slowenien heißen sie Trojaner Krapfen.
    Es sind aber nicht die verschiedenartigen Bezeichnungen, die den Kreppelfreund beschäftigen. Er weiß ja seit dem Turm von Babel, dass Menschen sprachlich nicht miteinander harmonieren, und so kann er mühelos nachvollziehen, dass ein Bäcker in Boston nicht so spricht wie einer in Braunlage. Was am meisten erstaunt, ist der Umstand, dass Kreppel heute auf dem großen Auftritt bestehen. Die der ersten Generation wurden mit einem Klecks Marmelade gefüllt, doch belässt es ein Kreppel mit Charisma nicht mehr bei Pflaumenmus oder Aprikosenkonfitüre. Er wird mit Vanillecreme gestopft und außen mit Schokolade überzogen statt mit Zucker bestreut. Weißer Guss ist in, Bescheidenheit out. Tiramisu stand jüngst an einem Hefeballen, dem ich die kalte Schulter zeigte. Der wusste bestimmt nichts von dem Berliner Zuckerbäcker, der die ersten Pfannkuchen zustande gebracht haben soll. Er war Kanonier unter Friedrich dem Großen und erwies sich als wehruntauglich. Um seinen Kummer zu bekämpfen, formte er aus Hefeteig Kanonenkugeln. Der Berliner Pfannkuchen war geboren.
    Natürlich hat niemand mehr die Kraft, sich für den echten deutschen Kreppel einzusetzen. Und wo kämen wir hin, wenn sich die klugen Leute in Straßburg und Brüssel um Kreppel statt Bier kümmerten? Bis Silvester aber, wenn die fetten kleinen Verführer wieder Hochkonjunktur haben, sollten wir die Extravaganzen der Neuzeit nicht passiv hinnehmen. Deutsche Frauen und deutsche Männer sollten wieder dazu übergehen, Kreppel selbst zu backen, denn kein Bäcker stellt noch die mit Senf gefüllten Gaumenscherze her. Gerade die haben einen unvergessenen Beitrag zur Entwicklung des deutschen Humors geleistet.

Kleiner Rückblick in großer Wehmut
    Von den erschreckenden Überfällen in den öffentlichen Verkehrsmitteln will ich hier nicht reden. Mir reicht es, wenn ich lese, dass ein Kind von Jugendlichen misshandelt und beraubt worden ist. Oft sind die Täter gleichaltrig. Kinder unserer Zeit sind sie allemal, und die ist nicht von Pappe. Wir Zaungäste schütteln den Kopf leer und blöd, doch wir lassen die Jugend nach Belieben ihre Opfer prügeln und peinigen. Wer heute die Sprache der Gewalt redet, den lässt die Mehrheit ungeschoren, denkt sie doch umgehend an die Menschen, die ohne Grund krankenhausreif oder totgeprügelt wurden.
    Boxer müsste man sein oder Kampfsport treiben, um die Welt ins Lot zu kriegen. Nur die Gesegneten mit Fäusten aus Eisen können sich noch ohne Angst und Blessuren für Anstand, Moral und Fairplay einsetzen. Früher war das anders. In der Nachkriegszeit wurde zwar vom Rest der Welt den Deutschen Zivilcourage und Einsatz für die Schwachen abgesprochen, aber es hätte mal einer von den unbeliebten Halbstarken versuchen sollen, einem zwölfjährigen Kind seinen Ranzen oder das Pausenbrot abzunehmen. Die zufälligen Zaungäste hätten dem Übeltäter in null Komma nichts Mores gelehrt. Schon unbeherrschte Mütter, die auf der Straße nach ihren Kindern schlugen, wurden umgehend und von jedem, der der deutschen Sprache mächtig war, an den Pranger der öffentlichen Missbilligung gestellt. Einmischen, wenn es um Kinder, Alte und Wehrlose ging, war in den fünfziger und sechziger Jahren keine Sache der Theorie. Ich erinnere mich, als wäre es heute, wie meine Mutter, die wahrlich nicht gern Treppen lief, eine fremde Wohnung im zweiten Stock enterte. Dort teilte sie der verdutzten Hausfrau mit, wenn die noch einmal ihr zweijähriges Kind auf dem ungesicherten Balkon spielen lasse, hätte sie eine Anzeige zu erwarten. Ich kann heute noch nicht an dem Haus in der Frankfurter Bergerstraße vorbeigehen, ohne meine Mutter zu bewundern.
    Kinder und Jugendliche, die in der Tram sitzen bleiben, wenn alte Menschen keinen Platz fanden, wurden von den Fahrgästen zum Aufstehen veranlasst, ehe der Schaffner Zeit hatte, den Mund aufzumachen. Heute beanspruchen die Jungen und Gesunden nicht nur einen Sitzplatz für sich. Es stört sie bereits, wenn ihnen ein Gesicht oder eine zufällige Geste missfallen, und schon schlagen sie zu. Wer schweigt, ist nicht gleichgültig. Er hat begriffen, dass im Kampf gegen das Böse die Empörung der alten Art keinen Pfifferling wert ist.

Wenn die Meisen
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