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Am Sonntag kommt das Enkelkind - und andere Einblicke in meine Wel

Am Sonntag kommt das Enkelkind - und andere Einblicke in meine Wel

Titel: Am Sonntag kommt das Enkelkind - und andere Einblicke in meine Wel
Autoren: Langen Müller
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einen Vogel haben
    Er war kein schlechter Kerl, er tat nur seine Pflicht, als er uns das Fürchten lehrte. Vom Februar ist die Rede, von Schnee und Eis und Winterfrust. Zwei Tage noch, dann trommelt es aus allen Ecken, dass der Bursche mit der vereisten Zackenkrone in die Flucht geschlagen ist. März, der dritte Monat von den zwölfen, war immer schon ein Hoffnungsträger. Er pflanzt Veilchen in den Vorgärten, komponiert Musik für jede Jahreszeit und schaukelt sein Kind mit dem Lied Warte nur ein Weilchen in den Schlaf.
    Für den ersten Tag vom März melden die Wetterfrösche den meterologischen Frühlingsanfang, für den 20. den kalendarischen. Spatzen zwitschern Lebensfreude, Tauben gurren von der Liebe, und auch die Meisen haben einen Vogel. In den Blumengeschäften zeigen Tulpen, was Gärtner können, Narzissen schreiben Gedichte. Das hat schon Goethe getan. Allerdings hat der lebenskluge Meister zur Vorsicht gemahnt. Er bläut vorschnellen Optimisten ein: Die Schwalbe selber lüget. Warum? Sie kommt allein.
    Ich gestatte mir den Hinweis, dass Schwalben gemeinhin den Sommer verkünden. Im März haben wir ganz andere Freunde. Herzensnah steht mir der Märzhase. Weshalb? Ich bin mit einem Mädchen namens Alice aufgewachsen, dem das unglaubliche Glück vergönnt war, an einem Sommertag auf einer Wiese einzuschlafen und im Wunderland aufzuwachen. Den Märzhasen, der eine schlafende Haselmaus als Ellbogenstütze benutzt, lernt sie auf einer Teeparty mit einem verrückten Hutmacher kennen. Nimm dir etwas Wein, lädt der Märzhase Alice ein. Sie sagt: Ich sehe keinen Wein, und er antwortet: Ist auch keiner da. Das ist die Logik, die Menschen einleuchtet, für die Mathematik eine Folter war.
    Mein ganzes Leben habe ich Ausschau nach einem Märzhasen gehalten. Immer vergeblich. Auch das hat seine Logik. In Deutschland würde man einen Märzhasen als Zumutung für alle Werktätigen diffamieren. Bestimmt würde ihm Herr Westerwelle kein Kohlblatt aus dem Hartz-IV-Programm für Mümmeltiere gönnen. Das englische Langohr spült ja noch nicht einmal seine Teetasse aus. Nach Gebrauch rückt er einfach zum nächstsauberen Gedeck weiter. Deutsche Hasen sind fleißig und strebsam; sie legen schon im März Eier aus Nougat und Marzipan und machen zu Ostern Überstunden bis tief in die Nacht. Mein Märzhase ist ein arbeitsscheuer Schwätzer, aber als Kinderbeglücker reicht ihm keiner das Wasser.

Mit Sellerie und Steckrüben zurück ins Gestern
    Sie hat stundenlang Pflaumenmus gerührt, den Sauerbraten selbst eingelegt, aus Sellerie, Steckrüben, Graupen und Bauchfleisch einen Eintopf gezaubert, wie ihn heute kein Sternekoch mehr hinbekommt, Brot und vor allem den besten Käsekuchen der Welt gebacken. Spatzen, die das Glück hatten, die Krümel aufzupicken, jubeln noch heute. Von Oma ist die Rede. Ihr Fleiß und ihr stilles Heldentum, ihre Sparsamkeit und Opferbereitschaft wird selbst von Mampfern beschworen, die Döner, Pizza, Fischstäbchen und Kaffee im Pappbecher für einen Genuss halten.
    Oma in der geblümten Kittelschürze und mit dem adretten Haarknoten hat den Ihrigen mit strengem Blick allzeit klargemacht, was auf den Tisch kommt, wird gegessen. Das klingt heute super garstig und entsetzlich despotisch, trotzdem wird von den großmütterlichen Kochkünsten kolportiert, sie wären ein Vorgeschmack aufs Paradies gewesen.
    Derzeit wird das Loblied auf die Küchenherrlichkeit von vorgestern wieder einmal ganz laut gesungen. Es ist eine unendliche Geschichte. Der Buchmarkt bietet Titel wie Heimwehküche, Rezepte für die Seele und das Heimweh-Kochbuch mit dem Untertitel Gerichte, die wie zu Hause schmecken, an. Wer die Bilder sieht und die Rezepte liest, den drängt es in allen Geschmacksnerven, dem Brühwürfel den totalen Krieg zu erklären, das eigene Sauerkraut zu stampfen und staunenden Enkeln die Geschichte von Esau zu erzählen, der sein Erstgeburtsrecht an seinen Bruder Jakob für einen Teller Linsen verkaufte.
    Dass die Oma-Nostalgie sich immer wieder auf die falsche Fährte begibt, wird indes meistens übersehen. Großmütter von heute haben selten einen eigenen Gemüsegarten, sie schwenken keine Lauchstangen, kaufen ihre Nudeln im Supermarkt und beleidigen das junge Gemüse nicht mehr mit pampigen Mehltunken. Omi legt heute Wert darauf, mit der eigenen Tochter verwechselt zu werden. Sie trägt ihre Jeans eng, ist berufstätig, hat einen prallen Terminkalender und spielt lieber Tennis, als dass sie im Schaukelstuhl
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