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Am Sonntag kommt das Enkelkind - und andere Einblicke in meine Wel

Am Sonntag kommt das Enkelkind - und andere Einblicke in meine Wel

Titel: Am Sonntag kommt das Enkelkind - und andere Einblicke in meine Wel
Autoren: Langen Müller
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leid. Sie werden nie erfahren, was Kindheit einst bedeutet hat. Wie gut, dass die Computer in dieser Beziehung schweigsam wie Gentlemen sind. Schließlich sind Sehnsüchte quälender als Pommes ohne Majo.

Pro Minute ein Meineid
    Noch wirkt das neue Jahr, als könnte es nicht bis drei zählen. Wahrscheinlich glaubt es noch an den Weihnachtsmann, und weil es sich mit der Welt nicht auskennt, stopft der Unschuldsengel seine halb gegessenen Schulbrote in die Briefkästen und heult im Kino, wenn Romeo seine Julia nicht kriegt. Mit Bewunderung ist allerdings zu vermerken, dass 2011 auf die Sekunde pünktlich und in makellosem Zustand eingetroffen ist. Genau wie versprochen. In einer Welt, in der die meisten Versprechen zu Lippenbekenntnissen verkommen, ist ein solches Geschäftsgebahren außergewöhnlich. Rechnen wir also weiterhin mit den uns zugesagten 365 Tagen im Jahr, und gehen wir davon aus, dass der Heiligabend 2011 auf den 24. Dezember fallen wird.
    Offenbar ändert sich nicht allzu viel zwischen Himmel und Erde. Deswegen erscheint mir der große Bahnhof für das neue Jahr ein wenig übertrieben. Wir klatschen ja auch nicht jeden Morgen Beifall, weil die Sonne aufgeht. Die wenigsten von uns lassen sich indes vom Glauben abbringen, dass es eine besondere Bewandtnis mit der Jahreswende hat. Deshalb allerorten das Silvesterfeuerwerk, um böse Geister zu vertreiben, und vierblätteriger Klee in Töpfchen, damit auch bei Familie jedermann das Glück an der Haustür klopft. Wir haben Fortuna zugeprostet und uns selbst und dem Nachbarn auf die Schulter geklopft. Um diese Jahreszeit sind wir so fröhlich, zugänglich, sympathisch und liebenswert wie sonst nie. Wir sagen artige Dinge und fassen erstaunliche Vorsätze, und es schert uns keinen Deut, dass wir dabei schamlos übertreiben und pro Minute einen Meineid schwören. Wir wollen nicht mehr naschen, das Rauchen aufgeben, als Fußgänger keine Radfahrer verteufeln und als Radfahrer die Fußgänger wie Menschen behandeln. Wir wollen andere lieben wie uns selbst, edel wollen wir sein und gut, und wir werden uns mit einem Lakritzebonbon genauso freuen wie über einen Sechser im Lotto, denn nur der Genügsame bringt es weit im Leben. Auf keinen Fall wollen wir der perfekten Welt, die wir geschaffen haben, unterstellen, dass sie langweilig und bieder und nicht zum Aushalten ist. Der perfekte Mensch kritisiert nicht. Er sagt zu allem Ja. Allenfalls darf er Ausschau nach den Weisen und Lebenserfahrenen halten, die fest entschlossen sind, im neuen Jahr so zu bleiben, wie sie immer waren. Lebenskünstler und Genießer sind das. Sie lassen sich nicht von guten Vorsätzen gängeln, essen und trinken, bis sie satt und selig sind, kraulen ihre Katze, statt zu joggen, schauen zufrieden in den Spiegel und machen der Fliege an der Wand romantische Komplimente. Natürlich gibt es solche glückliche Menschen zuhauf. Nur wo trifft man sie?

Schnäppchen am laufenden Band
    Wenn ich Bilanz ziehe, komme ich zum Ergebnis, dass es sich nicht gelohnt hat, das Jahr 2011 fürstlich zu empfangen. Wozu das Feuerwerk, der Schornsteinfeger aus Pappe und die Luftschlange um Lampe und Herz, wenn Schnee vom Himmel fällt, die Wetterverkünder allmorgendlich mit Glatteis und Migräne drohen und das Gemüt nicht an das Gute im Leben glauben mag? Der Mond, noch zu Silvester ein Wonnekloß, ist abgemagert, jede Frauenzeitschrift empfiehlt uns das Gleiche, und in der ersten Lottoziehung des Jahres kam für mich, wie üblich, nur Lehrgeld heraus. Der Wasserhahn tropft, der Abfluss in der Küche hat Verstopfung, der Kuckuck in der Uhr ist heiser, die Christrosen sind verblüht, Neurosen gibt es im Doppelpack.
    Lediglich zwei aus vollem Herzen fröhliche Menschen habe ich in diesem Jahr getroffen. Der eine war ein Schäferhund von geschätzten sechs Monaten. Er kratzte im Schnee herum und posaunte in die Welt hinaus, dass Fleischwurst unter Bäumen wächst. Der zweite Lebenskünstler, der nicht glauben will, dass der Mensch sein Brot mit Tränen zu essen hat, ist mein Großneffe Max. Fast zweieinhalb Jahre alt ist er und, wie man heute so feinsinnig sagt, total gut drauf. Der Strahleknabe brachte mir ein selbst gemaltes Bild unverkennbar von Marc Chagall inspiriert und putziger Beweis, dass Kunst und Kind füreinander geschaffen sind.
    Nun trifft man in der Großstadt viel zu selten junge Schäferhunde, und nicht jeder hat das Glück, sein Leben mit Kinderunschuld zu teilen, doch die Geschäftswelt lässt
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