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Das Netz der Schattenspiele

Titel: Das Netz der Schattenspiele
Autoren: Ralf Isau
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    KAGEE
     
     
     
    Die Tür zum Chaos war nur angelehnt. Von Salomon fehlte jede Spur. Unfassbar! Stella starrte ungläubig auf den Spalt, der ihren Blick wie magisch anzog. Sie konnte im Raum dahinter bunte Lichter erkennen. Einige von ihnen blinkten. Ein leises Summen war zu hören. Vorsichtig näherte sie sich der Öffnung, jederzeit bereit sich aus dem Staub zu machen.
    »Salomon?« Argwohn lag in ihrer Stimme. Das Chaos unbewacht! Allein die Vorstellung schien ihr ungeheuerlich. Sie lauschte. Aber keine Antwort kam.
    Langsam, mit einem leisen Knarren, schwang die Tür auf. Stella bot sich ein durchaus vertrautes Bild. Sie sah einen massiven Schreibtisch, der sich aber durch das Wirrwarr der darauf befindlichen Gerätschaften drastisch von herkömmlichen Arbeitsmöbeln unterschied. Eher schon glich das ganze Arrangement einer bizarren Computerlandschaft, aus der hier und da noch hölzerne Relikte »prähistorischen Ursprungs« ragten. C.H.A.O.S. – eine wirklich treffende Bezeichnung für diesen Ort. Die einzelnen Buchstaben des Namens standen für Computerized Home Approved Office Section und belegten eine von Salomons größten Schwächen: seinen nahezu manischen Hang zur Bildung immer neuer Akronyme.
    Zaghaft betrat Stella das »verbotene Reich«. In den Händen hielt sie einen Teller mit einem ihrer turmartigen Spezialsandwiches. Wenn Salomon davon Wind bekam, dass sie in seiner »computergesteuerten heimtauglichen Büroeinheit« herumschnüffelte, würde er sie vermutlich vierteilen oder am Spieß rösten – irgendwas in der Art.
    Salomon, der eigentlich Mark hieß, war Stellas Vater. Ihrer Meinung nach frönte er einer übertriebenen Furcht vor Sabotage, insbesondere durch Familienangehörige. Selbst Viviane, Stellas Mutter, durfte in dem Büro nichts anfassen. Und für seine einzige Tochter war dieser Ort sogar völlig tabu. Als sie kleiner gewesen war, hatte sie einmal ihren Ball ins Chaos kullern lassen – natürlich absichtlich –, noch ehe sie dem Spielzeug nachsetzen konnte, hatte Salomon sie abgeblockt, wie ein Fullback beim American Football seinen Gegner.
    Nicht wenige hielten Mark Kalder für einen der fähigsten Wissenschaftler im Bereich der Biokybernetik, der Biometrie, der Computerkryptographie, der neuronalen Netzwerke und noch einiger anderer Disziplinen, von denen selbst Stella nicht genau wusste, wozu sie überhaupt gut waren. Irgendwer hatte ihn eines Tages »ob seiner Weisheit« Salomon genannt. Und der war dann nicht eher aus seinem Chaos herausgekommen, bis er sich diesen Spitznamen auf seine Weise erschlossen hatte. S.A.L.O.M.O.N. – das stehe für Scientific Academic Labourer Or Man Of Networks, hatte Mark Kalder stolz der Familie verkündet. Wer sich selbst nur als »Hilfsarbeiter« betrachtet, wenn auch als einen »wissenschaftlich-akademischen«, der nimmt sich nicht allzu ernst. Gerade das schätzte Stella an ihrem Vater. Beim Chaos jedoch hörte jeder Spaß auf.
    Stella hatte inzwischen den altehrwürdigen Eichenschreibtisch umrundet und ihren Proviant darauf abgeladen. Vater schätzte dieses Möbelstück wegen seiner enormen Belastbarkeit. Auf der Tischplatte standen nämlich drei Bildschirme, einer so groß wie ein Backofen und vermutlich ebenso schwer. Die anderen beiden Monitore waren flach wie Bilderrahmen. In der linken Flunder blinkten verschiedene Kontrollanzeigen. Stella wusste, dass der zum Bildschirm gehörende PC ständig eingeschaltet war – daher auch das permanente Summen. Über diesen Kommunikationsrechner konnte sich der Universitätsprofessor Mark »Salomon« Kalder jederzeit und von jedem Punkt der Welt aus in sein Privatlabor einklinken.
    Aber warum hatte er sein Büro so fluchtartig verlassen? Die offen stehende Tür verriet deutlich, in welch großer Eile er gewesen sein musste. Mit der Geschicklichkeit einer Meisterdiebin suchte Stella den Raum ab. Wenn sie schon in das »verbotene Reich« eindrang, dann sollte es sich wenigstens lohnen. Vielleicht entdeckte sie irgendetwas, das sie ihrer Mutter am Telefon brühwarm auftischen konnte. Eines von Salomons streng gehüteten Geheimnissen. Stella lächelte in stiller Vorfreude.
    Doch zunächst entdeckte sie nichts Neues. Eskortiert von ihrem Vater hatte sie diesen Raum schon dutzende Male erforscht. Ihr Blick streifte die Steuergeräte im Regal hinter dem Schreibtisch. Sie waren die Quelle des Flackerns und Blinkens, das sie schon vom Flur aus gesehen hatte. Sie musterte beiläufig die beiden Drucker
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