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Das Netz der Schattenspiele

Titel: Das Netz der Schattenspiele
Autoren: Ralf Isau
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blickten auf den Dozenten herab, der sich redlich mühte ihre Aufmerksamkeit nicht nur zu erhaschen, sondern auch möglichst lange zu fesseln.
    Im Augenblick beschäftigten sich einige der jungen Leute noch hingebungsvoll mit Kaffeepötten und Coladosen. In der ersten Reihe saß eine wasserstoffblonde Studentin, die Mark wie hypnotisiert anstarrte. Innerlich seufzte er. Bei den Hochschülern galt er als ausgesprochen beliebt, wobei es ein gewisses Ungleichgewicht zugunsten der Damen des Semesters gab. Nicht wenige von ihnen himmelten ihn an. Mark Kalder galt an der TU als ein äußerst engagierter Wissenschaftler, nichts anderes ließ er als Grund für derartige Schwärmereien gelten. Fragte man dagegen seine Verehrerinnen, so wussten diese an ihm durchaus noch weitere Attribute aufzuzählen, die einen Mann für eine Frau anziehend machten.
    Sein längliches Gesicht war zwar nicht perfekt, dafür aber markant. Die quer liegende Narbe auf dem Kinn kaschierte er (außer bei wichtigen gesellschaftlichen Anlässen) mit einem Dreitagebart. Von der Statur her war Mark das, was man gemeinhin mit »gut in Form« umschrieb. In jüngeren Jahren hatte er ernsthaft trainiert, um im Schwimmsport Karriere zu machen. Einer (fast immer) konsequent gesunden Lebensführung verdankte er seine hervorragende Konstitution. Oben breit, in den Hüften schlank, ragte er einen Meter achtzig vom Boden auf, hatte zudem volle braune Haare und Funken sprühende dunkle Augen.
    Ganz automatisch zog Mark seine Brille aus der äußeren Brusttasche des grauen Fischgrätensakkos und setzte sie sich auf die Nase. Normalerweise benötigte er die Sehhilfe nur bei längerer Arbeit am Computerbildschirm oder wenn er einmal das Kleingedruckte unter einem Vertrag lesen musste. Aber unbewusst setzte er die Brille auch zur Abschreckung ein, im Stillen hoffend, seine Verehrerinnen mochten dadurch leichter den Gelehrten in ihm erkennen, was er im Kampf gegen ihre romantischen Gefühle für ausgesprochen nützlich hielt.
    Jetzt konnte er die Studentin in der ersten Reihe deutlicher sehen. Sie kaute ohne Unterlass – das fettige Papierpaket auf dem Sitz neben ihr ließ ihn an Wurstbrote, Pommes mit Majonäse und ähnlich ungesunde Kost denken. Mark versuchte die hungrigen Blicke der jungen Dame zu ignorieren.
    Auf der Empore des Auditoriums saß eine abgesprengte Gruppe von Störenfrieden, die ihre Berufung offenbar besonders ernst nahm. Die Erstsemester gaben sich überhaupt keine Mühe, ihre Stimmen zu senken, sie sprachen so laut miteinander, als befänden sie sich nicht in einer Vorlesung, sondern in einer diskussionsfreudigen Selbstfindungsgruppe.
    Mark rückte das Umhängemikrofon zurecht und räusperte sich vernehmlich. Er konnte kaum verbergen, wie sehr ihn dieses undisziplinierte Verhalten nervte.
    »Meine Damen und Herren in den oberen Rängen, ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn auch Sie mir Ihre Aufmerksamkeit schenken würden. Sollte Ihnen das nicht möglich sein, so habe ich auch hierfür vollstes Verständnis. Es ist schließlich nicht jedermanns Sache, sich mehr als fünf Minuten lang zu konzentrieren. Aber dann möchte ich Sie doch bitten draußen vor der Tür nach Zerstreuung zu suchen.«
    Mark hielt nicht viel von derartigen Maßregelungen. Im Grunde waren sie nur ein Zeichen von Schwäche. Er hatte sich einfach von seiner Nervosität hinreißen lassen. Umso erstaunter stellte er fest, dass seine Rüge dennoch Wirkung zeigte. Die geschwätzigen Studenten warfen ihm zwar verächtliche Blicke zu, schwiegen nun aber.
    Noch ganze dreißig Minuten quälte er sich durch die Vorlesung. Er war kaum bei der Sache. Über Grundlagenphysik zu referieren war für ihn etwa so aufregend wie das Umgraben eines Ackers für einen Gärtner. Wenn er über das mathematische Fundament der Heisenbergschen Unschärferelation sprach und die Studenten ihn bloß noch anstarrten, als trüge er Gedichte in der Eskimo-Sprache vor, hasste er seinen Beruf. Mark ärgerte es, dass er sich von Jürgen hatte breitschlagen lassen.
    Physik gehörte nicht gerade zu den Schwerpunktgebieten Mark Kalders. Salomon, wie ihn die Kollegen halb scherzhaft, halb bewundernd nannten, war bei seiner Berufung einer der jüngsten Professoren an der TU gewesen. Inzwischen schmückten sich andere hier mit diesem Etikett. Im Mittelpunkt von Marks Forschungen standen neue Verfahren zum Schutz von Computern und den darin gespeicherten Daten. Seine Professur an der TU war der momentane Höhepunkt einer
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