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talon005

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Titel: talon005
Autoren: Unsichtbare Augen
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Talon Nummer 5

    „Unsichtbare Augen“

    von
    Thomas Knip

    Janet Verhooven gähnte ausgiebig.
    Sie streckte ihren schlanken Körper durch und wartete, bis sich die Spannung in ihren Armen löste. Seit geschlagenen drei Stunden verbrachte sie die Zeit damit, zu sitzen und zu warten. Sie hatte im Schatten eines der gewaltigen Steinpfeiler Platz genommen, die die ausgedörrte Hochebene in gerader Linie durchzogen.
    Trotz der Höhe wehte kein Wind. Die Luft hing heiß und schwer über der öden Landschaft und machte das Atmen zur Qual. Die junge Frau schwitzte in ihrer dünnen Leinenkleidung, die unangenehm an ihrem Körper klebte. Ihr kurzes, blondes Haar hing in dunklen Strähnen herab.
    Janet schützte ihre Augen mit der rechten Hand vor der Sonne und blinzelte in den Himmel. Das verwaschene milchige Grau erstreckte sich in einem fahlen Ton bis zum Horizont. Es schien fast so, als seien die Farben aus der Umgebung verschwunden.
    Sie ging einige wenige Schritte, um ihre Unruhe im Griff zu halten, doch die Hitze zwang sie schnell wieder in den Schutz der Pfeiler. Unwillig blickte sie zur Seite. Ihr Auftrag war es gewesen, einen weißen Wilden im Urwald aufzustöbern. Ihr Boss Amos Vanderbuildt hatte sie über viele Details im Unklaren gelassen. Das war sie von ihm gewohnt. Sie sollte immer mit einem Minimum an Informationen ein Maximum an Erfolg aus einer Affäre gewinnen. Dafür war sie engagiert worden – für diese schwierigen, unlösbaren Fälle, von denen andere die Finger ließen.
    Doch dieser Fall war selbst für sie etwas zu bizarr.
    Alles hatte reibungslos geklappt. Der Flug nach Zentralafrika, die Einreise an den Zollbehörden vorbei, das Treffen mit den Mitarbeitern von Vanderbuildt, Inc. in Bangui, die nicht wussten, für welche Aufgabe sie tatsächlich abberufen wurden.
    Alles …
     … und dann lag dieser Wilde bewusstlos mitten auf ihrem Fahrtweg in die westlichen Provinzen von Zentralafrika.
    Janet sah zu ihm herüber und schüttelte den Kopf. Sie hatten eine provisorische Unterkunft errichtet und eine kleine Plane aufgespannt, um den Wilden vor der Sonne zu schützen. Alice Struuten, die Fotografin aus ihrem Team, hatte sich prompt bereit erklärt, sich um ihn zu kümmern, bis er das Bewusstsein wieder erlangte.
    Janet hatte sich die Frau mit dem langen, leicht gewellten brünetten Haar bei ihrer Ankunft am Flughafen nur kurz angesehen und sie als „Fotohäschen“ abgehakt. Sie war etwas jünger als Janet und hatte bereits einige Fotostories für Reisemagazine veröffentlicht. Wobei sie sich auf vielen der Fotos selbst gut in Szene setzte. Züchtig genug bekleidet, um keinen Ärger zu verursachen, doch knapp genug, um die Auflage zu steigern.
    Bisher hatte sie es unterlassen, Janet um ein Gruppenfoto „Dame mit Wildem“ zu bitten. Dabei hätte es Janet mehr als gereizt, ihr darauf die passende Antwort zu geben.
    Verärgert wischte sie sich mit dem Zeigefinger langsam den Schweiß von der Stirn. Das Bild vor ihren Augen flimmerte durch die heiße Luft. Sie kauerte wieder am Boden auf einer der längst zerfallenen Säulen und warf kleine Steinbrocken durch die Luft.
    Offiziell wusste niemand etwas von einem weißen Wilden, der sich in dieser Gegend aufhielt. Doch erstaunlicherweise fanden sich überall Leute, die ihn kannten. Die Informationen ließen sich wie ein Mosaikbild zusammensetzen und formten aus dem Fabelwesen ein lebendiges Bild, das seine Spuren hier in der Mitte Afrikas hinterließ. Unbekannt war er den Leuten hier wirklich nicht. Doch jeder von ihnen schien froh um die Unnahbarkeit, die diesen Mann umgab.
    Keiner von denen, die bereit waren, für ein paar US-Dollar zu reden, kannte seinen wirklichen Namen. Manche der Einwanderer aus den ländlichen Gebieten, die sie in den Slums von Bangui befragte, nannten ihn den „Löwengeist“.
    Janet kniff die Augen zusammen. Örtliche Medien hatten zum gleichen Zeitpunkt von ungewöhnlichen Wanderungen ganzer Löwenrudel im Westen des Landes berichtet. Das war für sie Grund genug, hellhörig zu werden. Sie konnte ihrem Instinkt normalerweise blind vertrauen und hatte sofort eine Expedition in diese Gegend angeordnet.
    Die lokale Miliz, die diesen Landstrich kontrollierte, hatte großzügig ihren Schutz angeboten. Janet musste einiges an Bargeld sowie den Einfluss von Vanderbuildt, Inc. spielen lassen, um freie Hand zu haben. Von dem, was hier geschah, sollten nicht mehr Leute wissen, als unbedingt nötig.
    Je weiter sie nach Westen
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