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Das Netz der Schattenspiele

Titel: Das Netz der Schattenspiele
Autoren: Ralf Isau
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und den Flachbettscanner, mit dem Dokumente oder Fotos in den Computer eingelesen werden konnten. Ihre Augen kehrten zur Tischplatte zurück, übergingen die Digitalkameras oberhalb der mittleren Tastatur, verschmähten die kabellosen Funkmäuse und erreichten schließlich die Tischkante. Von dort aus bewegten sie sich abwärts.
    Unter der braunen Arbeitsfläche schlug das eigentliche Herz des Chaos. Hier standen die voluminösen, prall mit Elektronik gefüllten Gehäuse, gewissermaßen Schmelztiegel, die Salomon benötigte, um seine glühenden Ideen und Visionen aufzufangen, bevor er ihnen Gestalt gab. Diese graugelben Kästen waren mehr als PCs – Vater nannte sie schlicht Workstations. Hier formte und schmiedete er seine neuen Konzepte und Programme. Er tat es in Wort, Bild und Ton. In Bits und Bytes. Mark Kalder stand kurz davor, der Computersoftware eine neue Dimension zu eröffnen – so viel wusste Stella, aber nicht viel mehr.
    Zwielicht beherrschte das Chaos. Die Maisonne wurde wirksam von einer Jalousette abgewehrt. Nur einzelne Lichtspeere drangen ein ins geheime Reich des Man of Networks, der sich in Computernetzwerken so sicher bewegte wie eine Spinne über ihre Fäden. Unter dem Schreibtisch waren die Schatten nahezu undurchdringlich. Einige grüne Leuchtdioden hatten sich im Kampf gegen die Finsternis dennoch durchgesetzt. Ihnen verdankte Stella die Entdeckung.
    Es war nur ein einziges, unscheinbares Detail. Einem anderen wäre diese graue Plastikscheibe vielleicht gar nicht aufgefallen. Doch Stella kannte ihren Vater gut genug, um dem Fund eine gewisse Bedeutung beizumessen. Salomon war nämlich längst nicht so unordentlich, wie man es einem x-beliebigen begnadeten Professor zugestanden hätte. Im Gegenteil, Mark Kalder galt sogar als ausgesprochen ordnungsliebend. Das scheinbare Durcheinander seines häuslichen Arbeitsplatzes gründete sich in Wirklichkeit auf eine innere Logik, die sich nicht sofort jedermann erschloss. Die überall sichtbaren Kabel und technischen Gerätschaften täuschten erfolgreich darüber hinweg, dass kaum Unnützes herumlag, weder Papierschnipsel und abgekaute Bleistifte noch verbogene Büroklammern oder irgendwelcher andere Kreativmüll. Beinahe alles, was Mark zum Schmieden seiner Ideen brauchte, war in den Computern auf Festplatten gespeichert. Oder auf auswechselbaren Datenträgern, klein und handlich wie der, der da aus Salomons Lieblings-Workstation herausragte.
    Stella war wie elektrisiert. Ihr Blick wanderte noch einmal zur offenen Tür. In der Diele draußen war alles still. Sie strich ihre blonden Haare aus dem Gesicht und beugte sich herab. Zielsicher wie die lange Zunge eines Chamäleons schnellte ihre Hand unter den Schreibtisch und wieder zurück. An ihren Fingern klebte die Beute: ein graues Plastikviereck mit einem weißen Aufkleber. Stella kniff die Augen zusammen, um Salomons Handschrift im Dämmerlicht des Büros entziffern zu können. Mit schwarzem Filzstift standen nur wenige Worte auf dem Etikett: Kagee – Das Netz der Schattenspiele.
    »Das Netz der Schattenspiele«, wiederholte Stella nachdenklich. Das klang geheimnisvoll, aufregend. Offenbar hatte sie eine Testversion von Salomons neuem Spiel in der Hand. Mehrmals hatte er gewisse Andeutungen gemacht – etwas wirklich Revolutionäres sei es, eine Verbindung letzter Forschungsergebnisse mit einer genialen Spielidee –, aber immer wenn Stella mehr wissen wollte, hatte er abgeblockt. Genauso wie damals ihren Versuch mit dem Ball.
    »Du wirst schon noch früh genug erfahren, was es damit auf sich hat«, war Salomons lapidare Antwort gewesen. »Außerdem habe ich mir eine kleine Überraschung einfallen lassen, und wenn ich dir vorher schon davon erzähle, dann ist es ja schließlich keine mehr, oder?«
    Warum waren Professoren nur immer so schrecklich logisch?
    Grübelnd blickte Stella auf den Datenträger, der sich in ihren Fingern drehte. Es handelte sich um eine magnetooptische Disk. Sie glich einer dieser altmodischen Disketten, kaum größer als zwei nebeneinander liegende Kreditkarten, konnte aber weit mehr als das Neunhundertfache jener veralteten Datenspeicher fassen. Auf diesem kleinen Ding ließ sich eine ganze Bibliothek abspeichern. Oder noch viel aufregendere Dinge. Aber welche?
    Stellas Neugierde steigerte sich mit jeder Sekunde, die sie auf die quadratische Plastikscheibe starrte. Eine innere Stimme machte ihr ernstliche Vorhaltungen. Immerhin hatte Salomon das Chaos zur absoluten
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