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Das Netz der Schattenspiele

Titel: Das Netz der Schattenspiele
Autoren: Ralf Isau
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lernfähiges Schloss«. So wie der Schädel des Menschen das empfindliche Gehirn vor Schaden bewahrt, sollte SKULL Computer schützen, vor allem solche, die über das Internet oder andere Wege miteinander verbunden waren.
    Später gelangte Mark zu der Einsicht, dass manche Übergriffe nur mit einer aktiven Verteidigung abgewehrt werden konnten. Deshalb integrierte er Teile seiner aggressiven Testsoftware direkt in das »lernfähige Schloss«. Heraus kam ein digitales Immunsystem, das den elektronischen Organismus nicht nur gegen Angreifer abschirmte, sondern wie die weißen Blutkörperchen im Menschen gegen diese auch vorgehen konnte. Wenn also jemand versuchte in einen von SKULL geschützten Computer einzudringen, dann schlug das Sicherheitssystem zurück. Es befiel seinerseits den Rechner des Hackers und konnte ihn, je nach Schwere des Angriffs, für Sekunden lähmen oder mithilfe eines so genannten CIH-Virus sogar dessen gesamte Elektronik nachhaltig außer Kraft setzen.
    Marks bahnbrechendes Sicherheitssystem stand kurz vor der Fertigstellung. Es war nur noch eine Frage von wenigen Wochen, bis es im harten Alltagsgebrauch seine Fähigkeiten würde unter Beweis stellen können. SKULL und Kagee – das waren die beiden Fundamente, auf denen er seine Zukunft gründen wollte. Das eine wie das andere Ergebnisse seiner Forschungsarbeit. Doch während SKULL ein Produkt des Verstandes war, pochte in Kagee gewissermaßen das ungestüme Herz eines Kindes.
    Und doch… Vielleicht kam das alles zu spät. Über der ganzen Arbeit hatte er Viviane sträflich vernachlässigt… ja, und auch Stella. Mit dem Tod seines Schwiegervaters wurde dann alles nur noch schlimmer. Gemeinsam machte sich die Familie auf den Weg nach Branford, Connecticut. Nach der Beisetzung ihres Vaters hatte Viviane dann die Gelegenheit ergriffen und sich eine »Auszeit« genommen. Der Nachlass könne schließlich nur vor Ort geregelt werden, hatte sie gesagt. Sie war noch immer in den Vereinigten Staaten – seit nunmehr fast vier Monaten!
    Endlich hatte Mark die letzte Folie auf den Tageslichtprojektor gelegt. Die Vorlesung näherte sich dem Ende. Gleich danach würde er sich wieder in den Verkehr stürzen. Soweit er sich erinnern konnte, hatte er Stella nicht einmal eine Nachricht hinterlassen. Am Morgen noch war ihm sein Tagesablauf fest gefügt erschienen: Mittags gemeinsames Essen in der Pizzeria an der Ecke, dann einige Stunden Arbeit im Chaos und abends zusammen mit Sternchen im Kino der neue Sciencefictionfilm. Jetzt, wo er nicht da war, würde sie bestimmt vor Wut und Enttäuschung kochen und ihn vermutlich wieder den ganzen Abend durch Nichtachtung strafen.
    Mark entließ die Studenten, die an diesem Tag einem ungewöhnlich unkonzentrierten Professor zugehört hatten. Im Sturmschritt eilte er dem Ausgang des Audimax zu, den vorwurfsvollen Blick seiner Tochter vor dem geistigen Auge. Vermutlich würde sie ihn bereits an der Haustür empfangen, ihn traurig und schweigend ansehen und sich dann wortlos auf ihr Zimmer zurückziehen. Eine gehörige Standpauke wäre ihm tausendmal lieber als diese stille Anklage. Doch wie er Stella kannte, würde sie ihn so leicht nicht davonkommen lassen.

 
    EIERTANZ
     
     
     
    Der obere Teil des Turms rutschte träge zur Seite. Eine Scheibe Toastbrot und ein Salatblatt landeten auf dem Schreibtisch. Stella unterdrückte einen Fluch, griff hastig nach einem Papiertaschentuch und wischte die Majonäse von der Schreibunterlage. Doch schon im nächsten Moment ließ sie das Krähen eines Hahns hochfahren.
    Stella blickte auf den Bildschirm. Eine neue E-Mail war für sie eingegangen. Der PC lief schon, seit sie aus der Schule zurück war. Wie jeden Tag suchte der Computer für sie selbstständig im Internet nach neuer Post. Diese Prozedur wiederholte er automatisch alle drei Stunden.
    An diesem Mittag wurde auf dem Bildschirm nur eine einzige Nachricht angezeigt. Stella seufzte erleichtert. Eine ellenlange Liste von Briefen wäre das Letzte gewesen, was sie jetzt hätte gebrauchen können. Sie wollte endlich das Kagee -Spiel ausprobieren. Als sie den Absender der elektronischen Mitteilung las, stöhnte sie auf.
    Die E-Mail kam von Tim Schröder, einem Jungen aus ihrer Klasse. Tim war eine Nervensäge. Mindestens einen Kopf kürzer als Stella, konnte er reden, als ob er sieben davon hätte. Stella traute ihm nicht. Die meisten Jungen in der Klasse hatten schon eine Freundin, Tim nicht. Der starrte nur sie unentwegt an.
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