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Das Netz der Schattenspiele

Titel: Das Netz der Schattenspiele
Autoren: Ralf Isau
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mit hoch auf mein Zimmer? Ich habe gerade eine Mail bekommen, die dich interessieren dürfte.«
    Jessica freute sich über die Nachricht von Barney alias Dark Listener beinahe genauso wie Stella. Beide fingen sofort an zu schnattern, als wären sie seit Jahren die besten Freundinnen. Stellas fast schon pathologisches Misstrauen gehörte der Vergangenheit an. Das Wenige, was davon übrig geblieben sei, hatte Salomon auf dem Heimflug schmunzelnd gesagt, reiche immer noch aus, um nicht als Einfaltspinsel durch die Welt zu spazieren.
    »Wie ist es dir nur gelungen, so schnell den kodierten Text aus dem Server der Australian Mining Company zu entschlüsseln?«, fragte Stella verblüfft, als hätte sie gerade erst von dieser kryptoanalytischen Großtat erfahren.
    Jessica zuckte mit den Schultern. »War gar nicht so schlimm. Nehme an, dein Draggy wollte, dass die richtigen Personen den Schlüssel finden. Lauscher und ich haben – übrigens genauso wie bei DiCampos Geheimarchiv – nach selten verwendeten Algorithmen geforscht. Der entscheidende Tipp kam von ihm. Anschließend haben wir einen Brute-Force- Angriff gestartet.«
    »Einen was?«
    »So nennt man das sture Durchprobieren aller Kombinationsmöglichkeiten.«
    »Verstehe, ein Computer kann das natürlich rasend schnell.«
    »So flink nun auch wieder nicht. Bei einem längeren Schlüssel kann es sogar ziemlich lange dauern, bis man die richtige Codefolge gefunden hat. Ich habe deshalb auf ein bewährtes Verfahren zurückgegriffen, mit dem vor einigen Jahren sogar der NSA ein Schnippchen geschlagen wurde.«
    »Der Agency? Da muss ich immer an DiCampo denken. Was hat man denn damals gemacht?«
    »Du weißt ja wahrscheinlich, dass die NSA ein Exportverbot für starke Kryptografie erwirkt hatte.«
    Stella musste an den Text auf Barney Browns Lieblings-T-Shirt denken und nickte.
    »Die US-Regierung hat geraume Zeit nur vierzig Bit lange Schlüssel zum Export freigegeben.«
    »Ist das wenig oder viel?«
    »Vierzig Bits, das sind vierzig Einsen oder Nullen oder eine Kombination aus beidem – für einen ernst zu nehmenden Angreifer lachhaft wenig. Im Jahr 1997 hat die US-Sicherheitsfirma RSA zu einem Brute-Force-Angriff auf unterschiedlichste Verschlüsselungsverfahren aufgerufen. Sie wollten beweisen, wie unsicher 40-Bit-Schlüssel sind.«
    »Bei deinem Grinsen nehme ich an, der Beweis ist ihnen auch gelungen.«
    »Absolut. Eine überwiegend europäische Internet-Initiative hat einen 48 Bit langen RC5-Code in nur 313 Stunden geknackt. Der amtlich abgesegnete 40-Bit-Schlüssel war sogar schon dreieinhalb Stunden nach Beginn des Wettbewerbs gefallen. Du musst dir einmal vorstellen, sogar einen 56-Bit-Schlüssel, der allgemein als recht sicher gilt, hatte man bis zur Jahresmitte dechiffriert. Ironischerweise handelte es sich dabei sogar um ein Datenpaket, das mit dem DES-Algorithmus verschlüsselt worden war, der vorzugsweise von Banken eingesetzt wird und an dessen Entwicklung sich die NSA sogar selbst beteiligt hatte. Komisch, was?«
    »Ich weiß nicht. Ihr Kryptologen habt einen etwas schrägen Humor, wenn du mich fragst. Was verstehst du eigentlich genau unter einer ›Internet-Initiative‹?«
    »Das ist ein Haufen Gleichgesinnter, die alle nur ein Ziel haben: der NSA eins auszuwischen.«
    Stella griente. »In was für eine Gesellschaft bin ich da nur geraten!«
    »Ich habe übrigens damals auch meinen PC zur Verfügung gestellt, weil mir selbst einmal so eine Initiative aus der Patsche geholfen hat. Na, jedenfalls war’s ‘ne spannende Sache. Für den 56-Bit-DSA arbeiteten mehrere tausend Anwender zusammen. Sie haben ihre PCs über das Internet verbunden und von Februar bis zum 18. Juni gemeinsam an der Lösung gerechnet. Okay, Glück war auch ein bisschen dabei – nur ungefähr ein Viertel der insgesamt zweiundsiebzig Billiarden Möglichkeiten musste durchprobiert werden.«
    »Zweiundsiebzig Billiarden! Langsam wird mir klar, warum die NSA bestimmte Verschlüsselungsverfahren wie Waffen unter Exportverbot gestellt hat. Auf diese Weise sparen sie sich die üble Rechnerei und können viel leichter den Datenverkehr anderer abhören.«
    Jessica nickte. »Was sie, wie jeder inzwischen weiß, ja immer noch tun, obwohl die Ausfuhrbestimmungen inzwischen gelockert wurden. Zum Knacken deines Amico-Manuskripts haben übrigens ein paar hundert Krypto-Fans gereicht.«
    »Du scheinst einen großen Bekanntenkreis zu haben, Jessi.«
    »Bis auf Lauscher sind das alles virtuelle
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