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Glücklich die Glücklichen

Glücklich die Glücklichen

Titel: Glücklich die Glücklichen
Autoren: Yasmina Reza
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Robert Toscano
    Wir waren bei den Wochenendeinkäufen im Supermarkt. Irgendwann sagt sie, stell dich schon mal in die Käseschlange, ich kümmer mich um die anderen Lebensmittel. Als ich wiederkam, war der Einkaufswagen halb voll mit Müsli, Keksen, Pulvernahrung in Tüten und lauter Dessertcremes, und ich sag, wozu das alles ? – Wie, wozu das alles ? Ich sag, wozu soll das gut sein ? – Du hast Kinder, Robert, die mögen Crunchy-­Müsli, die mögen Schokotäfelchen, auf Kinder-Bueno stehen sie total, sie hielt mir die Packungen hin, und ich sag, das ist doch absurd, sie mit Zucker und Fett vollzustopfen, dieser Einkaufswagen ist absurd, und sie darauf, was für Käse hast du gekauft ? – Einen kleinen Ziegenkäse und einen Morbier. – Was, keinen Schweizer, schreit sie auf. – Hab ich vergessen, und ich geh auch nicht noch mal hin, zu lange Schlange. – Du weißt genau, wenn du nur einen einzigen Käse kaufen müsstest, dann Schweizer, wer isst bei uns denn Morbier ? Wer ? – Ich, sag ich. – Seit wann isst du Morbier ? Wer will schon Morbier essen ? – Hör auf, Odile, sag ich. – Wer mag denn diesen Scheiß-Morbier ?  ! Subtext natürlich »außer deiner Mutter«, neulich hat meine Mutter mal eine Schraube in einem Morbier gefunden, schrei nicht so, Odile, sag ich. Sie zerrt am Einkaufswagen rum und schmeißt ein Dreierpack Milka-Vollmilch rein. Ich nehm die Schokolade und leg sie wieder ins Regal. Und noch schneller lag sie wieder drin. – Ich hau ab, sag ich. Sie darauf, na dann hau doch ab, hau ruhig ab, mehr kannst du nicht sagen, ich hau ab, deine einzige Antwort; sobald dir die Argumente ausgehen, sagst du, ich hau ab, immer gleich diese absurde Drohung. Es stimmt schon, ich sag oft, ich hau ab, das gebe ich zu, aber wie soll ich es nicht sagen, wenn ich zu nichts anderem Lust habe, wenn ich keinen anderen Ausweg weiß als sofortige Fahnenflucht, aber ich gebe auch zu, dass ich das dann, nun ja, als Ultimatum formuliere. – Gut, bist du jetzt fertig mit Einkaufen ?, sag ich zu Odile und schiebe mit einem abrupten Stoß den Einkaufswagen vorwärts, sonst brauchen wir keinen Mist mehr ? – Wie redest du mit mir  ! Ist dir klar, wie du mit mir redest  ! Ich sage, geh weiter. Los  ! Nichts ärgert mich mehr als diese plötzliche Beleidigtheit, wenn alles stehenbleibt, alles erstarrt. Natürlich könnte ich sagen, Entschuldige bitte. Nicht einmal, ich müsste es zweimal sagen, im passenden Tonfall. Wenn ich zweimal im passenden Tonfall Entschuldige bitte sagen würde, könnten wir mehr oder weniger normal in den restlichen Tag starten, nur hab ich überhaupt keine Lust, diese Worte auszusprechen, es ist mir physiologisch unmöglich, wenn sie mitten im Gang mit den Gewürzen stehenbleibt, vor Entrüstung und Unglück entgeistert. – Geh weiter, Odile, bitte, sage ich beherrscht, mir ist heiß, und ich muss noch einen Artikel fertigschreiben. – Entschuldige dich, sagt sie. Wenn sie das in normalem Ton sagen würde, Entschuldige dich, dann könnte ich es sogar tun, aber sie raunt, sie verleiht ihrer Stimme etwas Tonloses, das ich nicht hinnehmen kann. Ich sage, bitte, ich bleibe ruhig, bitte, ganz beherrscht, ich sehe mich mit Vollgas über eine Stadtautobahn fahren und in voller Lautstärke Sodade hören, ein Lied, das ich vor kurzem entdeckt habe und von dem ich nichts verstehe, nur die Einsamkeit in der Stimme und das Wort Einsamkeit, das unendlich oft wiederholt wird, obwohl ich gehört habe, es bedeutet gar nicht Einsamkeit, sondern Sehnsucht, Mangel, Bedauern, Schwermut, lauter intime, nicht mitteilbare Dinge, die Einsamkeit bedeuten, so wie der alltägliche Einkaufswagen Einsamkeit bedeutet, der Gang mit Öl und Essig und der Mann, der im Neonlicht seine Frau inständig bittet. Ich sage, entschuldige bitte. Entschuldige bitte, Odile. Odile muss in dem Satz nicht unbedingt vorkommen. Klar. Odile ist nicht freundlich, ich füge Odile hinzu, um meine Ungeduld zu signalisieren, aber ich habe nicht damit gerechnet, dass sie sich mit fliegenden Armen umdreht und auf die Tiefkühlprodukte zuläuft, also in den hintersten Tiefen des Supermarkts verschwindet, ohne ein Wort, und ihre Handtasche lässt sie im Einkaufswagen. – Was machst du denn, Odile ?, rufe ich, ich habe noch zwei Stunden, um einen sehr wichtigen Text über den neuen Run aufs Gold zu schreiben  !, rufe ich. Ein völlig lächerlicher Satz. Sie ist aus meinem Blickfeld verschwunden. Die
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