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Am Ende ist da nur Freude

Am Ende ist da nur Freude

Titel: Am Ende ist da nur Freude
Autoren: David Kessler
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ich viel auf einer Hospizstation, wo wir Ansprechpartner für Sterbende und ihre Angehörigen sind, die Beratung suchen.
    Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Hospizes wenden sich an mich und mein Team, wenn sie über etwas sprechen oder wissen wollen, ob eine bestimmte Situation normal ist oder nicht. In gewisser Weise sind wir die Seelenklempner fürs Personal. Auch neue Teammitglieder kommen zu uns, wenn einem Patienten oder einer Patientin ein verstorbener Angehöriger erscheint. Sie fragen dann: »Was soll ich tun? Haben Sie so etwas schon einmal erlebt? Sie bekommen keine Opiate, haben aber ständig Visionen – was ist da los? Kann das echt sein?
Was ist, wenn ich es für echt halte? Bin ich dann verrückt? « Das alles haben wir schon gesehen und gehört. Ja, es gibt wohl kein Hospiz-Team auf der Welt, das solche Geschichten nicht erlebt. Ich finde sie faszinierend, weil sie einander so sehr ähneln und doch bei jedem Menschen wieder ganz einzigartig sind. Eine Patientin ist mir hier ganz besonders in Erinnerung.
    Mrs. Riley war 88 und »unvertreten«, wie wir sagen, das heißt, sie hatte keine Familie. Als ihre Gesundheit verfiel, bestellte das Pflegeheim einen Bevollmächtigten für sie. Zum Glück hatte sie ihre Wünsche schriftlich verfasst, daher war klar, was sie am Ende ihres Lebens wollte.
    Mrs. Riley wurde einer unserer jüngeren Krankenschwestern im Hospiz zugewiesen. Katie war Anfang 20 und hatte zuvor auf der onkologischen Station des Krankenhauses gearbeitet. Sie wollte gerne helfen und hoffte, mehr Kontakt zu Menschen im Hospiz zu bekommen.
    Ich war nicht überrascht, als Katie bei mir im Büro auftauchte und mich bat, Mrs. Riley mit ihr zusammen zu besuchen. Ich wusste, da musste etwas im Busch sein, deshalb war ich einverstanden, bat sie aber, mich zuvor auf den neuesten Stand zu bringen. Sie informierte mich zunächst ausführlich über Mrs. Rileys medizinische Geschichte und sagte dann zögerlich: »Ich habe gehört, dass sie ›Mami‹ gerufen hat. Ich glaube, sie denkt, ich sei ihre Mutter, aber als sie es noch einmal gerufen hat, schaute sie über mich hinweg und hinter mich, so, als ob ich gar nicht da wäre.«
    »Glauben Sie, dass sie vielleicht eine Vision ihrer toten Mutter hat?«
    »Wissen wir denn sicher, dass ihre Mutter tot ist?«, fragte Katie.
    »Nein, aber wenn sie leben würde, glauben Sie dann nicht, dass sie eher zur Tür hereinkäme, als über ihrem Kopf zu erscheinen?«
    Katie fand meine ironische Bemerkung gar nicht witzig, aber ich fuhr fort: »Im Ernst, Katie, warum akzeptieren Sie es nicht einfach, wie es ist? Die Patientin glaubt, dass ihre Mutter anwesend ist, und was könnte tröstlicher sein, als wenn die eigene Mam am Ende des Lebens für einen da ist? Warum behandeln Sie es nicht als Realität? Sie können nicht mit ihr streiten und sagen, dass ihre Mutter nicht da sei. Das führt zu nichts.«
    »Danke, Lainey. Sie haben mich sehr zum Nachdenken angeregt. Ich glaube, ich kann versuchen zu akzeptieren, dass ihre Mam sie besuchen kommt.«
    Am nächsten Tag jedoch zog mich die junge Krankenschwester im Flur zur Seite und berichtete mir tief besorgt: »Okay, ich war ja dabei, mich daran zu gewöhnen, dass Mrs. Rileys Mam da ist, aber jetzt ist auch noch Dad aufgetaucht.«
    Ich versuchte zu erklären, wie oft das vorkommt und welch großer Trost es für die Patienten ist. »Glauben Sie nicht, dass es anmaßend wäre, wenn man jemandem sagte, dass das, was er oder sie sieht, gar nicht da ist?«, fragte ich Katie. »Woher wollen wir das sicher wissen?
Wie können wir beweisen, dass jemand keinen verstorbenen Angehörigen sieht? Und wenn wir schon dabei sind, versuchen wir doch auch gleich zu beweisen, ob es ein Leben nach dem Tod gibt oder nicht. Was Mrs. Riley anbelangt, so hat sie ihre Eltern bei sich, und sie hat Sie, eine fürsorgliche, mitfühlende Schwester.«
    Ich meinte das wirklich so. Katie war eine sehr gute Krankenschwester, die sich aufrichtig um alle ihre Patienten kümmerte – sie wusste einfach nur mehr über Schmerz- und Symptommanagement als über die Phänomene am Sterbebett. Am nächsten Tag, zuverlässig wie ein Uhrwerk, rief Katie an und bat mich, zu ihr in Mrs. Rileys Zimmer zu kommen. Beim Gang den vertrauen Flur entlang konnte ich immer nur denken: »Nimmt die sich denn nie einen Tag frei?«
    Als ich ins Zimmer kam, wirkte Mrs. Riley nicht so, als habe sie Schmerzen, aber sie murmelte etwas.
    »Hören Sie mal, was sie sagt«, meinte Katie,
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