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Die Entfuehrung

Die Entfuehrung

Titel: Die Entfuehrung
Autoren: James Grippando
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Teil 1 Oktober 2000
1
    Allison konnte fühlen, wie ihr Herz pochte. Ihre Lungen brannten, und sie schnappte nach Luft. Die digitale Anzeige ihres Laufbandes sagte ihr, dass sie die Zweimeilenmarke erreicht hatte. Sie drückte den Geschwindigkeitsknopf, um das Tempo zu verlangsamen und wieder zu Atem zu kommen. Sie war schweißgebadet, und ihre Gymnastikhose und ihr extragroßes T-Shirt klebten an ihrem durchtrainierten achtundvierzigjährigen Körper. Es war ihr Lieblings-T-Shirt, weiß mit leuchtend roten und blauen Buchstaben.
    »Leahy for President - Ein Neues Jahrtausend«, stand darauf.
    Nach fast vier Jahren als Justizministerin trennten Allison gerade noch zwei Wochen von dem historischen Datum, an dem die Wähler entscheiden würden, ob die oberste Polizistin der Nation die erste Präsidentin werden würde. Das Rennen war völlig offen, und es gab keinen kandidierenden Amtsinhaber, da ihr Chef - der demokratische Präsident Charlie Sires - am Ende seiner zweiten und damit letzten vierjährigen Amtsperiode stand. Mit der Kabinettsumbildung durch den Präsidenten nach der Wiederwahl im Jahre 1996 war Allison in der zweiten Amtsperiode zur Justizministerin berufen worden. Acht Monate zuvor hatte sie sich selbst noch nicht ernsthaft als Präsidentschaftsanwärterin betrachtet. Aber nachdem die Republikaner Lincoln Howe, den populärsten Schwarzen des Landes, nominiert hatten, machten die Meinungsumfragen schnell deutlich, dass die Demokraten eine charismatische weiße Frau ins Rennen schicken mussten, um ihn schlagen zu können.
    Ironischerweise hatte der dreißigminütige Lauf auf dem Laufband sie tatsächlich dreißig Meilen näher an ihre nachmittägliche Wahlkampfkundgebung herangebracht. Es war die letzte Station einer zweitägigen Bustour durch Pennsylvania, einen kritischen Staat, bei dem es unsicher war, wie sich die vierundzwanzig Wahlmänner verhalten würden. Ihr Wahlkampfbus hatte in den letzten sechs Monaten eine Strecke von fast zehntausend Meilen zurückgelegt. Mehr als zuvor funktionierte der Wahlkampf gerade in der Zielgeraden wie eine gut geölte politische Maschinerie - was einem durchschnittlich gut organisierten menschlichen Wesen allerdings bestenfalls wie völliges Chaos vorkäme. Ein Dutzend lärmender Mitarbeiter waren an Faxgeräten und Computerterminals beschäftigt. Eine Ansammlung vollgestopfter Archivkartons versperrte den Eingang zur Toilette, als wären sie strategisch so platziert, dass jeder, der verzweifelt genug wäre, die Bordtoilette aufzusuchen, zu Fall kommen musste. Tausende Wahlkampfanstecker, Flugblätter und Aufkleber waren verstreut hinten im Bus gelagert. Vier kleine Farbfernseher waren an der Decke befestigt und strahlten verschiedene Programme aus, um einen simultanen Nachrichtenüberblick zu ermöglichen. Ein Programm war elektronisch »ausgerichtet« und ständig eingestellt auf die mehr oder weniger kontinuierliche Berichterstattung von CNN über den Wahlkampf 2000.
    »Das reicht an Selbstquälerei für einen Tag«, sagte Allison stöhnend. Sie drückte auf die Stoptaste und stieg vom Laufband.
    Laufen war ihr hauptsächliches Training seit den Januar-Vorwahlen der Demokraten in New Hampshire. Egal welche Stadt sie besucht hatten, sie war die Hauptstraße hinauf- und hinuntergelaufen, und die Menschen hatten sich ihr angeschlossen, um mitzulaufen. In den Vorwahlen hatte ihr das schon eine große Öffentlichkeit verschafft, aber nachdem sie im August die Nominierung für die Demokraten gewonnen hatte, wurden es so viele Leute, dass sie eine Demonstrationsgenehmigung brauchte. In der letzten Woche hatten Zeitdruck und der kalte Regen aus den Appalachen sie gezwungen, ihr Training im Bus auf dem Laufband zu absolvieren, während sie die Lagebesprechungen mit ihrem Wahlkampfstrategen David Wilcox abhielt.
    »Gibt's was Neues, David?« fragte sie, während sie sich vornüberbeugte und ihre Wadenmuskeln dehnte.
    Wilcox, Absolvent der Woodrow Wilson School of Public Affairs in Princeton, war einundfünfzig Jahre alt, groß und drahtig. Als junger Stipendiat im Weißen Haus hatte er unter Präsident Carter geglänzt, aber eine bittere Niederlage bei der Bewerbung für den Kongress im Jahre 1982 hatte ihn veranlasst, seine Bemühungen um eine Kandidatur nicht weiter zu verfolgen. In der High-School hatte man ihm eine Karriere als Talkmaster prophezeit, und schließlich hatte er seinen Platz als Wahlkampfstratege gefunden. Nach siebzehn Jahren konnte er eine stattliche
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