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Am Ende ist da nur Freude

Am Ende ist da nur Freude

Titel: Am Ende ist da nur Freude
Autoren: David Kessler
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meinen elf Jahren in der Onkologie habe ich viele Phänomene auf dem Sterbebett miterlebt. Immer gegenwärtig ist mir allerdings die Geschichte meiner Mutter Cara.
    Meine Mutter war immer sehr aktiv. Zwar gab sie irgendwann mit über 80 das Autofahren auf, aber ihre liebsten Freizeitbeschäftigungen wurden in der Nähe angeboten, sodass sie zu Fuß dorthin gehen konnte. Sie war fanatische Bingo-Spielerin und wusste immer, wo in der Stadt gerade gespielt wurde. Außerdem ging sie regelmäßig in die Kirche und engagierte sich ehrenamtlich im Pflegeheim.
    Als bei Mam Krebs festgestellt wurde, war das für die ganze Familie und alle Freunde ein Schock. Ich hatte zwar auf der Station bereits Hunderte von Krebspatienten versorgt, aber jetzt musste ich mir unsere Mutter als Patientin vorstellen.
    Schon bald bestand das Leben aus einer Runde Chemotherapie nach der anderen. Ich fand, dass Mam den Krebs auf allen Ebenen bekämpfen sollte, aber ich wusste auch, dass sie eine aggressive Form dieser Krankheit hatte. Schließlich war Mam es leid, dass ihr ständig übel war, ohne dass es etwas brachte, und sie beschloss, der Natur ihren Lauf zu lassen.
    Ich brachte meine Mutter dazu, zu mir zu ziehen, und am Anfang war sie noch sehr selbstständig. Sie kochte das Abendessen und half, das Haus sauber zu halten, aber schon bald wurde sie zu schwach für all diese Aufgaben, denn ihr Zustand verschlechterte sich. Ich stellte auf Teilzeitarbeit um und ließ mich schließlich beurlauben, um sie zu pflegen.
    Mams Gesundheit verfiel zusehends, und manchmal kam ich in ihr Zimmer und sah, dass sie nach oben in die Zimmerdecke schaute und mit jemandem sprach. Leider wusste ich, dass dies bedeutete, dass sie nicht mehr viel Zeit hatte.
    »Mit wem sprichst du?«, fragte ich sie eines Tages.
    »Alvin. Er ist da und wartet auf mich.« Alvin war ihr Mann, mein Vater, der vor einem knappen Jahrzehnt gestorben war.
    »Dad ist da?«
    »Ja natürlich!«
    Ich fand ihre Haltung überraschend. Die Mam, die ich kannte und liebte, hätte niemals ein Gespräch mit einem Toten ernst genommen. Aber offensichtlich hatte sich das
alles geändert, denn sie hielt nun regelmäßig Plauderstündchen mit Dad.
    Eines Tages traf ich meine Mutter weinend an. Sie sprach mit meinem Bruder, der als Jugendlicher auf tragische Weise bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen war. »Es ist einfach so schön, ihn wiederzusehen«, sagte sie mir später. »Ich hätte nie gedacht, dass das eines Tages möglich wäre.«
    Auch andere Leute kamen sie besuchen. Meine Mutter nannte einen toten Verwandten nach dem anderen und meinte: »Sonia, es wird ganz schön voll hier drin.«
    »Das hast du nun davon, dass du dir so viele Gäste einlädst«, zog ich sie liebevoll auf.
    Am nächsten Tag veränderte sich der Ton meiner Mutter. »Nun gut, sie sind da«, sagte sie leicht resigniert. »Sie rufen mich, aber ich bin noch nicht so weit. Ich habe ihnen gesagt, dass sie warten müssen, weil es noch nicht Zeit ist.«
    Als Mam zusehends schwächer wurde und dem Tode nahe war, fiel sie immer wieder ins Koma. Als sie bei Bewusstsein war, sagte sie mir: »Ich glaube, es ist Zeit. Vielleicht hatten sie ja doch Recht.«
    Kurz bevor sie starb, sah sie wieder in dieselbe Ecke an der Wand und streckte die Hände aus, als wolle sie nach etwas greifen. Dann schloss sie die Augen, und eine Viertelstunde später starb sie.
    Bis heute frage ich mich, was meine Mutter gemeint hat, als sie sagte: »Vielleicht hatten sie ja doch Recht.« Hatten
sie Recht, dass ihre Zeit zum Sterben gekommen war? Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube fest, dass wir gegen Ende des Lebens Dinge sehen, die wir nicht ganz verstehen.
    Als Krankenschwester weiß ich sehr wohl, dass Visionen oft einem Sauerstoffmangel oder physiologischen Funktionsstörungen zugeschrieben werden. Doch viele meiner Patienten haben diese Visionen Wochen vor ihrem Tod, wenn man sie nicht einem Sauerstoffmangel zuschieben kann. Diese Vorfälle ereignen sich so oft, dass sie nicht mehr von der Hand zu weisen sind.

Die Einladung
    von Lainey
     
    Vor etwa zehn Jahren begann ich meine Arbeit als Sozialarbeiterin in der Palliativversorgung. Wir, die wir auf diesem Gebiet arbeiten, werden in gewisser Weise desensibilisiert, was den Tod anbelangt, denn für uns ist er ein alltägliches Ereignis. Zwar denken die Menschen oft, dass mich meine Arbeit depressiv machen müsste, sie verstehen nicht, welche Geschenke damit verbunden sind.
    Im Moment arbeite
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