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Am Anfang war das Ende (German Edition)

Am Anfang war das Ende (German Edition)

Titel: Am Anfang war das Ende (German Edition)
Autoren: Stefan Casta
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Schinken. Sogar Tomaten hat meine Mutter aufgetrieben und in Scheiben kreisförmig aufs Omelett gelegt. Es schmeckt gut, aber mit Auberginen wäre mir lieber als mit Kartoffeln. »Ein Bauernomelett«, sagt meine Mutter zu Dinah, als sie mit der Pfanne herauskommt. »Hoffentlich schmeckt’s dir.« Dinah nickt. Nach einer Weile kommt Papa vom Dach herunter und klopft seine Kleider aus, dass roter Staub um ihn herumwirbelt.
    »Axel«, seufzt Mama. »Doch nicht am Esstisch!«
    »Das Dach sieht gut aus«, sagt Dinah.
    »Findest du?«, sagt Papa und späht mit zusammengekniffenen Augen nach oben. »Ich hoffe wirklich, dass es jetzt dicht ist.« Dann zieht er einen langen Streifen von der Haushaltrolle und wischt sich damit den Schweiß vom Gesicht.
    »Was liest du da?«
    Dinah reicht ihm das Buch.
    »Ist es gut?«
    Dinah nickt und lächelt ihn an. Papa und sie haben einander gefunden.
    »Ich kann es Ihnen leihen, bin fast fertig damit. Es liest sich leicht.«
    »Gern«, sagt Papa. »Nett von dir, Dinah.«
    Mama steht auf.
    »Einen Moment«, sagt sie und läuft ins Haus. »Ich will nur schnell die Kamera holen.«
    Als sie wieder herauskommt, hält sie eine neue, silberfarbene Kamera in der Hand.
    »Die haben wir gerade erst gekauft.«
    Sie peilt uns an, kneift die Augen zusammen und lächelt. Dann macht es klick
.
    »Oh, das ist aber hübsch geworden!«, ruft sie begeistert und reicht Dinah und mir die Kamera. »Das erste Bild.«
    Ich schaue auf das kleine Display, sehe Dinah, Papa und mich, das Bauernomelett, die flatternde Haushaltsrolle, Dinahs Buch, Papas Zeitung mit dem Kreuzworträtsel, die ordentlich zusammengefaltet auf dem Tisch liegt, die blauen Fliederblüten hinter uns und dahinter ein Stück Garten. Erst jetzt, wo ich das Bild sehe, nehme ich den Duft des Flieders wahr. Es ist ein ungewöhnlich schöner Tag. Ein richtiger Frühsommertag. Und es gibt bestimmt nichts, das so gut riecht wie Flieder. Flieder ist fast das Einzige, was die Leute hier in ihren Gärten haben. Als wäre in der Gegend eine Art Fliederhysterie ausgebrochen. Darum ist es vielleicht nicht so erstaunlich, dass der Duft mir erst jetzt, mit der Kamera in der Hand, bewusst wird. Oder es ist wegen Dinah, überlege ich. Weil es das erste Mal ist, dass sie mich besucht.
    Am Abend liegen wir in unseren Betten und reden. Im Haus ist es still. Papa sitzt an seinem Kreuzworträtsel. Mama schaut fern. Samstagsfriede. Pompom liegt schnurrend auf Dinahs Bett. Ich weiß noch, dass ich ihm das erst übelgenommen habe. Alle haben Dinah lieber als mich, hab ich gedacht. Doch dann fiel mir ein, dass das doch nur gut ist, weil sie meine Freundin ist.
    »Ich hab dich gern, Judit«, sagt Dinah.
    »Obwohl ich so kindisch bin?«
    Dinah schüttelt den Kopf. »Du bist nicht so wie die andern.«
    »Sind nicht alle so?«, sage ich. »Jeder ist doch so, wie er ist.«
    Dinah schüttelt wieder den Kopf und streichelt Pompom sachte den Bauch. Das scheint er zu genießen.
    »Nein«, sagt sie. »Die meisten sind es nicht. Das nimmt ein schlimmes Ende, Judit.«
    Ich schweige ziemlich lange, weil ich nicht so recht kapiere, wovon sie spricht.
    »Du klingst fast wie Red Bull«, sage ich schließlich, weil mir sonst nichts einfällt.

Der Tag des Mars
    Ich hüpfe ein bisschen zwischen den übrigen Tagen hin und her, du begreifst sicher, warum. Es lohnt sich irgendwie nicht, sie alle aufzuzählen. Obwohl Red Bull behauptet, die normalen Tage seien die besten. Er redet immer davon, wie sehr er diese normalen Tage liebt, die einfach kommen und gehen, ohne dass etwas Besonderes passiert. »Genau das ist die Poesie des Daseins«, kann er zum Beispiel an einem tristen Dienstag sagen. Damals hab ich davon null kapiert, ich fand bloß, dass es peinlich klang. Aber als ich ihm das sagte, sah er mir in die Augen und rief aus: »Das Leben ist ein Traum, Judit. Und du bist mittendrin. Ist das nicht phantastisch?«
    Heute sehe ich das mit den Tagen anders. Wenn ich damals gewusst hätte, was ich jetzt weiß, wäre ich zu ihm hingegangen, hätte ihn umarmt und gesagt: »Du bist ein Genie, Red Bull, du hast die Lösung für das Rätsel des Lebens gefunden! Die Antwort ist ein normaler kleiner Dienstag. Sieben waagrecht, acht Buchstaben: Was ist der Sinn des Lebens? Nie wäre ich darauf gekommen, dass es der Dienstag ist!«
    Red Bull sieht nicht unbedingt so aus, wie man sich einen Lehrer für Kreatives Schreiben vorstellt. Er ist groß und kräftig, mit einem freundlichen Gesicht. Hat
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