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Am Anfang war das Ende (German Edition)

Am Anfang war das Ende (German Edition)

Titel: Am Anfang war das Ende (German Edition)
Autoren: Stefan Casta
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Vögel kamen und sangen so laut, dass einem fast die Ohren weh taten. Die Blumen erblühten und sandten zarte, süße Düfte aus. Gelbe Schlüsselblumen und weiße Maiglöckchen. Schmetterlinge und Hummeln flogen zu ihnen, um Nektar zu holen. In den Gartenbeeten waren die ersten Gemüsesorten erntereif. Die Luft war warm, man machte Ausflüge und picknickte auf roten Decken im Gras. Abends saß man im Freien und zündete den Grill an.
     
    DIDDI
    Genau wie wir!
     
    Judit nickt.
     
    VENDELA
    Wird dein Gemüse jetzt auch reif?
     
    JUDIT
    Hoffen wir das Beste.
     
    Judit sieht zu dem kleinen Gartenbeet hinüber. Die Kamera folgt ihrem Blick. Genau sieben Pflanzen sind noch übrig. Alle anderen sind verwelkt und gestorben. Die Überlebenden wirken auch nicht allzu kräftig. Ihr Wachstum scheint irgendwie angehalten worden zu sein, sie sehen geschrumpft aus, wie Zwergpflanzen.
     
    VENDELA
    Warum wachsen sie so langsam?
     
    JUDIT (ZUCKT DIE SCHULTERN)
    Das kann an der Erde liegen. Weil irgendein Nährstoff fehlt. Oder zu reichlich vorhanden ist.
     
    David hat sich die Hände an den Beinen abgewischt und kommt zu Judit her.
     
    DAVID
    Dann wollen wir mal die heutigen Aufgaben besprechen. Benjamin, du hast die erste Wache oben im Baum. Diddi versorgt die Schweine. Dinah, Gabriel und ich gehen zum Floß und bauen weiter. Hänfling und Vendela holen Wasser. Judit bleibt mit den übrigen Kindern hier und behält alles im Auge.
     
    David legt eine Pause ein. Die Kamera bewegt sich über die Gesichter der Kinder. Sie blinzeln angestrengt in die aufgehende Sonne und zu David hin. Ein paar tragen Bogen über den Rücken. Vendelas Finger spielen mit ihrem Zopf. Benjamin hat sich neben die tote Familie auf die Veranda gesetzt. Er sieht müde aus.
     
    DAVID
    Okay?
     
    Die Kamera wackelt kurz und bewegt sich dann nach oben und unten, als würde sie nicken.
    •
    Ich muss daran denken, was ich den Kindern über den Monat Majus erzählt habe. Hier gibt es keine Blumen, kein Grün, nicht einmal einen grauen kleinen Vogel. Hier ist es lautlos wie in einem Vakuum. Ein lebloses Land. Ich glaube, es gibt ein Wort, das heißt
Niemandsland
. Das passt hierher.
    Seltsam, dass ich mich noch nicht daran gewöhnt habe und etwas in mir immer noch das normale Leben wiederhaben will.
    Aber da ist noch mehr. An diesem Morgen jedenfalls. Ich fühle mich rastlos und unruhig. Ich sitze lange auf der Veranda und blinzle in die riesige Sonne, die sich wie ein feuerspeiender Drache am Horizont erhebt. Das Wetter scheint sich wieder zu verschlechtern. Oder ist es der Frühling, der jetzt beginnt?
    Ich versuche, an etwas anderes zu denken, lasse die Gedanken abschweifen, aber sie kehren immer wieder zurück. Zu mir selbst. Zu diesem gegenwärtigen Augenblick. Zu der aufgehenden wahnsinnigen Sonne. Zu diesem gottverlassenen Einödhof weit draußen im Nirgendwo. Nicht einmal in Weitwegistan ist es mitten im Sonnenschein so eisig leer. Ich kann mich an das unheimliche Schwindelgefühl erinnern, das mich manchmal zu Hause bei meinen Eltern nachts befiel. In meinem anderen Leben. Als ich im Bett lag und an den Tod dachte, mir vorstellte, wie es ist zu sterben. Manchmal wurde dieses Gefühl so stark und deutlich, dass ich zu Papa ins Bett kriechen musste. Damals empfand ich auch eine eisige Leere. Der Tod, denke ich. Was ist das eigentlich, der Tod?
    Aber vor allem denke ich an Dinah. Seit unserer Expedition in die Stadt geht es ihr wieder schlechter. Ich merke, dass sie sich zurückzieht. Manchmal sitzt sie nur da und starrt in die Luft. Ich mache mir Sorgen um sie.
    •
    Als Diddi vom Stall angewirbelt kommt, höre ich endlich auf zu grübeln.
    »Geht es allen Schweinen gut?«, frage ich, während ich Devil streichle.
    Diddi nickt eifrig und wischt sich den Rotz unter der Nase mit der Hand weg.
    »Ich glaub schon, aber ein Schweinchen schläft immer bloß«, teilt sie keuchend mit.
    »Schläft?«, sage ich und spüre die Unruhe wieder wach werden. »
Wie
schläft es denn?«
    »Es legt sich irgendwo allein hin und schläft ein. Ich hab’s immer wieder aufgeweckt und zu seiner Mama getragen. Aber es geht bloß wieder weg.«
    Ich denke kurz nach. Will da noch eins sterben?
    »Ist es kleiner als die anderen?«, frage ich.
    Diddi schüttelt den Kopf. »Es ist fast am größten.«
    »Dann ist es bestimmt nur satt«, sage ich.
    •
    29 . SZENE. AUSSENAUFNAHME. MORGEN. AUF DEM FELD.
    DAVID, DINAH, (GABRIEL).
     
    Das verwackelte Bild von flachen Feldern. Im
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