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Black Swan - Silberner Fluch

Titel: Black Swan - Silberner Fluch
Autoren: L Carroll
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Die silberne Schatulle

    Ich war noch nie zuvor in diesem Antiquitätengeschäft gewesen.
    Das war der erste seltsame Umstand, denn eigentlich kannte ich das Village wie meine Westentasche. Schließlich war ich im West Village in einem Stadthaus aufgewachsen, von dem ich gerade erfahren hatte, dass eine so große Hypothek auf ihm lastete, dass selbst dann ein Berg von Schulden zurückbleiben würde, wenn mein Vater und ich es verkauften. Diese Nachricht war es gewesen, begleitet von einer Litanei über die allgemein schlechte Wirtschaftslage, die mich so schockiert und durcheinandergebracht hatte, dass ich ganz benommen aus der Anwaltskanzlei in Lower Manhattan gestolpert war. Mir war noch nicht einmal der leichte Regen aufgefallen, der inzwischen eingesetzt hatte, oder der Nebel, der vom Hudson River heraufzog.
    Erst, als ein plötzlicher, heftiger Guss mich zwang, in einem Eingang Schutz zu suchen, erkannte ich, dass ich mich verirrt hatte. Durch den Vorhang aus Regen sah ich, dass ich mich in einer schmalen, kopfsteingepflasterten
Straße befand. Von den Straßenecken war ich zu weit entfernt, als dass ich durch den dichten Nebel ein Schild hätte erkennen können. Wo mochte ich sein – irgendwo im West Village, oder vielleicht auch in Tribeca? Hatte ich die Canal Street überquert? Dieser Teil der Stadt hatte sich unglaublich verändert, war in den letzten Jahren so viel trendiger geworden, dass alles ganz anders aussah. Allerdings befand ich mich offenbar in der Nähe des Flusses. Der Wind wehte von Westen, brachte den Geruch des Hudson und des Atlantiks mit, der sich weit hinter der Bucht erstreckte. An kühlen Herbsttagen wie diesen, an denen tiefhängende Wolken die Dächer der Gebäude einhüllten und der Nebel die harten Linien von Backstein und Granit aufweichte, stellte ich mir gern vor, in einem längst vergangenen Manhattan unterwegs zu sein: in einem holländischen Hafen, in dem Händler und Kaufleute aus der Alten Welt anlegten, um ihr Glück zu machen, und nicht in einem Finanzzentrum, das am Rande des wirtschaftlichen Zusammenbruchs stand.
    Inzwischen war ich bis auf die Haut durchnässt und zitterte vor Kälte. Schließlich wandte ich mich zu der Tür in meinem Rücken, um zu sehen, ob ich dort eine Adresse entdecken konnte. Stattdessen starrte mich eine große Frau mit wildem Blick an: Das lange schwarze Haar hing ihr strähnig ins Gesicht und ließ sie wie einen Rachegeist aus einem japanischen Horrorfilm erscheinen. Es war mein eigenes Spiegelbild. Dabei war ich mir ziemlich sicher, dass ich, als ich am Morgen das Haus verlassen hatte, eine einigermaßen attraktive sechsundzwanzigjährige Frau gewesen war, aber die schlechten Neuigkeiten und der Regen hatten ihre Spuren hinterlassen. Ich schob mir
das Haar hinter die Ohren und bückte mich, um nach einer Adresse zu suchen, aber die goldenen Lettern an der Tür waren schon lange verwittert und hatten lediglich eine Spur Goldstaub wie einen Zauberschleier und ein paar versprengte Buchstaben hinterlassen. Das einzig erkennbare Wort war Dunst oder, wie ich überlegte, vielleicht auch Kunst ; allerdings befand sich hier jetzt keine Kunsthandlung mehr. Es war ein Antiquitätengeschäft, das ließ sich zweifelsfrei an den Auslagen im Schaufenster erkennen: georgianisches Silber, Saphir- und Diamantringe, goldene Taschenuhren, alle wunderschön, aber für meinen Geschmack ein wenig zu edel. Durch die Glastür entdeckte ich, dass der ganze Laden wie ein kleines Schmuckkästchen aussah, die Wände mit dunklem Holz getäfelt, die funkelnden Glasvitrinen mit granatfarbenem Samt ausgeschlagen. Ein Vorhang aus weinrotem Damast hing hinter dem polierten Mahagonitresen mit sinnlichen Art-Nouveau-Kurven. Der weißhaarige Mann, der hinter dem Tresen saß, sah aus, als hätte man ihn so sorgfältig dort platziert wie eine Perle in einer Onyx-Brosche. Er untersuchte etwas unter einer Uhrmacherlupe, doch dann blickte er auf – ein Auge grotesk durch die Linse vergrößert – und sah mich im Eingang stehen. Sofort griff er unter den Ladentisch und drückte einen Knopf, um mich einzulassen.
    Ich kann schnell nach dem Weg zur nächsten U-Bahn-Station fragen, dachte ich, als ich die Tür öffnete. Nun wollte ich allerdings nicht so unhöflich sein, das sofort zu tun. Ich hasste es, wenn Touristen den Kopf in unsere Kunstgalerie steckten, nur um nach dem Weg zu fragen. Zunächst einmal würde ich mich umsehen, obwohl ich
bezweifelte, dass dieses Geschäft die Art von
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