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Black Swan - Silberner Fluch

Titel: Black Swan - Silberner Fluch
Autoren: L Carroll
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Siegelringen führte, wie ich sie für meine Gussformen benutzte, und ohnehin kaufte ich kaum noch für mich selbst ein – etwas, das sich in Zukunft sicherlich auch nicht ändern würde. An meinem rechten Ringfinger trug ich den silbernen Siegelring, den meine Mutter mir zum sechzehnten Geburtstag geschenkt hatte. In das Silber war ein Schwan mit gebogenem Hals und ausgebreiteten Flügeln eingraviert, der sich in die Luft erheben wollte – wie man in der Wappenkunde sagte, ein auffliegender Schwan . Das Tier umgaben in Spiegelschrift, so dass die Buchstaben im Abdruck richtig herum erscheinen würden, die Worte: Rava avis in terris, nigroque simillima cygno.
    »Ein seltener Vogel auf der Erde, sehr ähnlich einem schwarzen Schwan«, hatte meine Mutter es mir übersetzt. »Das ist es, was du bist, Garet, ein seltener Vogel. Einzigartig. Lass dir von niemandem einreden, du müsstest genauso sein wie alle anderen.«
    Jemand hatte mit dem Finger so oft über die Worte gestrichen, dass sie kaum noch zu lesen waren, und feine Risse durchdrangen das Bild, aber wenn ich den Ring in heißes Wachs drückte, waren der Schwan und die Worte bemerkenswert klar. Meine Mutter, die als Lehrling bei Asprey’s in London gearbeitet hatte, hatte mir gezeigt, wie man eine Gussform von dem Wachsabdruck fertigte und dann ein Medaillon darin goss – ebenjenes Medaillon, das ich heute trug, so wie jeden Tag. Mit der Zeit hatten mich so viele Leute darauf angesprochen, dass ich mich auf die Suche nach anderen Siegelringen begeben und weitere, ähnliche Stücke angefertigt hatte, die ich dann unter den Schülern und Lehrern meiner Highschool
und den Kunden in der Kunstgalerie verkaufte. Ich hatte genug davon gemacht, um im FIT, dem Fashion Institute Of Technology, erfolgreich einen Kurs für Schmuckdesign zu absolvieren und im obersten Stockwerk unseres Hauses ein kleines Unternehmen mit einer Werkstatt einzurichten, das ich nach dem lateinischen Wort für Schwan Cygnet Design genannt hatte. Auch jetzt, vier Jahre später, lief die Firma gut, aber ich verdiente längst nicht so viel, als dass ich den großen Schuldenberg hätte abtragen können, den uns mein Vater eingebrockt hatte.
    Wie viele meiner Kunden werden sich in diesen schweren Zeiten weiterhin kleine Schmuckstücke wie ein Medaillon leisten , fragte ich mich, als ich das Geschäft betrat. Wie lange werden kuriose Unternehmen wie das meine – oder dieses hier – noch bestehen können, wenn sich die Lage erst richtig zuspitzt?
    Falls der Eigentümer des Ladens sich gegenwärtig um seinen Umsatz sorgte, dann zeigte er es nicht. Er spielte weiterhin mit der Uhr, die er reparierte, während ich den Blick über die Regale streifen ließ. Sie enthielten eine seltsame Zusammenstellung verschiedener Dinge. Es gab Medaillons, geöffnet dargeboten, so dass sie sepiafarbene Fotos unter stumpfem Glas preisgaben, und Broschen, die man aus den Haaren Verstorbener gefertigt hatte. Viele der Ringe und Broschen waren mit Urnen, Weidenbäumen und Tauben verziert – Symbolen, die traditionell für Trauer stehen. Ein ganzes Regal enthielt nichts weiter als Broschen mit gemalten Augen. Von ihnen hatte ich anlässlich eines Seminars in Schmuckgeschichte schon einmal etwas gelesen. Man nannte sie Liebaugenbroschen,
und sie waren im georgianischen England in Mode gekommen, nachdem der Prinz von Wales seinen Hofmaler angewiesen hatte, lediglich die Augen seiner Geliebten zu porträtieren, damit niemand ihre Identität würde erraten können. Ich hatte Abbildungen in Büchern und ein oder zwei dieser Stücke in Antiquitätengeschäften gesehen, aber es war befremdlich, so viele der körperlosen Augen an einem Ort vorzufinden.
    »Sind Sie auf der Suche nach etwas Bestimmtem?«
    Die Frage erklang so leise, dass ich einen Augenblick lang dachte, sie lediglich in meinem Kopf gehört zu haben. Unwillkürlich antwortete ich ebenfalls nur in Gedanken: Nach einer Lösung für meine Probleme, sonst brauche ich nichts. Dann sagte ich laut: »Ich bin immer auf der Suche nach Siegelringen für meine Schmuckentwürfe.« Dabei hob ich mein Kettchen, damit der Mann den Anhänger betrachten konnte. Er hielt sein Vergrößerungsglas hoch und beugte sich über den Tresen, um das Medaillon besser sehen zu können.
    Kaum hatte er das Motiv erkannt, senkte er das Glas und sah auf. Seine Augen hatten eine seltsame Bernsteinfarbe, die in dem tiefgebräunten Gesicht, das von schneeweißem Haar und einem sorgfältig gestutzten
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