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Am Anfang war das Ende (German Edition)

Am Anfang war das Ende (German Edition)

Titel: Am Anfang war das Ende (German Edition)
Autoren: Stefan Casta
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unsicher, ob ich während meiner Wache womöglich nur eingenickt bin und geschlafen habe.
    Diddi kommt angerannt, Devil dicht auf den Fersen. Ich sehe sofort, dass etwas vorgefallen ist.
    »Was ist?«, rufe ich.
    »Das kleine Ferkelchen ist tot«, schluchzt Diddi mit tränenüberströmtem Gesicht.
    »Wann ist das passiert?«, frage ich und streichle ihre Wange.
    »Als ich hingekommen bin, war es einfach tot«, sagt sie.
    Ich nehme sie an der Hand und gehe mit ihr zum Stall.
    In der Box liegt das kleinste Ferkel für sich in einer Ecke, ganz steif. Weder Tüchtig noch Doris nehmen von ihm Notiz. Ich klettere hinein und hebe es vorsichtig auf. Es ist nicht größer als eine Ratte und wiegt fast nichts.
    »So was kommt vor«, sage ich. »Die Kleinen sterben manchmal.«
    »Sollen wir es aufessen?«
    Ich schüttle den Kopf. »Vielleicht war es krank«, sage ich. »Wenn du willst, begraben wir es im Garten.«
    Diddis Gesicht hellt sich auf. »Kommt es dann in den Himmel?«
    Ich zucke die Schultern.
    »Ich hab ehrlich gesagt keine Ahnung, wo man landet, wenn man tot ist«, murmle ich.
    •
    Die Beerdigung des Ferkels wird zu einer stimmungsvollen Zeremonie. Nach einigen Diskussionen einigen wir uns darauf, es sicherheitshalber zuerst zu verbrennen. Benjamin und Gabriel haben trockene Äste und Zweige aufgehäuft, und inmitten des Haufens haben wir das Ferkelchen an ein Holzkreuz gebunden. Es ist schon fast dunkel, als wir das Feuer anzünden. Die Flammen werfen sich gefräßig auf das dürre Reisig. Als das Feuer den Tierkörper erreicht, entsteht ein lautes Zischen, und der Geruch nach verbranntem Fleisch verbreitet sich im Garten. Wir stehen im Kreis um das Feuer und sehen, wie das brennende Kreuz und der kleine Körper von den Flammen verzehrt werden. Das Feuer wirft seinen Schein auf das Haus, ich sehe unsere weiße Fahne mit dem grünen Kreis und werde so von der Stimmung ergriffen, dass ich anfange, ein schönes, trauriges Lied zu summen, das Oma oft gesungen hat. Ich glaube, es heißt »Blowin’ In The Wind«. Nach einer Weile fällt mir ein Teil des Textes wieder ein: »How many seas must a white dove sail, befores she sleeps in the sand? Yes, ’n’ how many times must the cannon balls fly, before they’re forever banned? The answer, my friend, is blowin’ in the wind, the answer is blowin’ in the wind.«
    Ich kann mich nicht an alles erinnern, weiß nur, dass es viele Verse waren. Ich singe das, woran ich mich erinnere, mit immer lauterer Stimme, und bald höre ich, dass die anderen einstimmen und die Melodie mitsummen. Es ist so schön, dass ich eine Gänsehaut bekomme.
    »How many years can a mountain exist, before it’s washed to the sea? Yes, ’n’ how many ears must one man have, before he can hear people cry? The answer, my friend, is blowin’ in the wind, the answer is blowin’ in the wind.«
    Als das Feuer heruntergebrannt ist, scharren wir die Knochen des Ferkelchens zusammen und legen sie in eine kleine Grube, die Benjamin und Diddi neben dem Beet vorbereitet haben. Am Rand der Grube steht ein einfaches kleines Holzkreuz. Als sie die Knochen mit Erde bedecken und den kleinen Hügel einebnen, der entstanden ist, denke ich an das, worüber wir gesprochen haben: Hoffentlich war es nichts Ansteckendes, woran das Ferkel gestorben ist.
    •
    28 . SZENE. AUSSENAUFNAHME. FRÜHMORGENS. VOR DEM HAUS.
    DAVID, DINAH, JUDIT, GABRIEL, BENJAMIN, VENDELA, DIDDI UND DIE ANDEREN, HÄNFLING (NICHT IM BILD).
     
    Benjamin schnitzt das Datum des Tages in den Kalender. In der Morgensonne stehen die Kinder in zwei Reihen auf dem Hof. Sie halten sich an den Händen. Die Wunden an den Beinen der kleinen Diddi sind verheilt. Vor ihnen stehen David und Judit. Alle haben selbst gemachte Hüte mit breiten Krempen auf und erinnern an Arbeiter auf den Reisfeldern in Vietnam oder an Pygmäen im Dschungel. Als Benjamin fertig ist, beginnt Judit mit feierlicher Stimme zu sprechen.
     
    JUDIT
    Montag, der erste Majus!
     
    In den Reihen der Kinder entsteht ein Gemurmel.
     
    DIE KINDER (im Chor)
    Majus! Erzähl uns von Majus!
     
    Judit räuspert sich. Sie sieht David an, der die Beute der nächtlichen Jagd an die Nägel in der Verandawand hängt. Die Ratten sind zu je zweien an den Schwänzen zusammengebunden. David hängt ein Rattenpaar nach dem andern auf. Devil folgt ihm mit dem Blick. Am Ende hängen da neun Paare.
     
    JUDIT
    Majus war eine schöne Zeit. Eine der allerbesten. Das war die Zeit, als alles grün wurde. Die
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