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Altstadtrebellen

Altstadtrebellen

Titel: Altstadtrebellen
Autoren: Andreas Giebel
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der Gegenwart zurechtzukommen.
     
    Und überhaupt: Wann soll ich mir bitte schön eine Auszeit nehmen. Wann denn? Da brauche ich doch bloß reinzuschauen in meinen Terminkalender. Morgen ist wieder Ding. Morgen ist immer Ding. Es gibt kaum einen Tag, an dem nicht Ding ist.
     
    Und zudem noch Geburtstage. Freunde, Verwandte, Bekannte. Das ganze Jahr über Geburtstage, Hochzeiten, Beerdigungen, Verlobungen, Anlässe: »Würden wir uns sehr freuen, Sie anlässlich unseres 25-jährigen Bestehens des Dings begrüßen zu dürfen!« Konfirmation, Firmung, Firmenfeiern, und im Verein wird auch gerne gefeiert. Und ehrlich gesagt, ich pack’s von den Leberwerten her nicht mehr.
     
    Und dann sollst du zum Arzt gehen, dich untersuchen lassen, dir über Krankheiten Gedanken machen, zum Wählen gehen, alles wissen, alles kennen, jung bleiben, dich pflegen, dich für andere freuen, über eine Tiffany-Lampe, nach der sie so lange gesucht haben. Und nebenbei noch schlafen, essen und aufs Klo gehen, davon redet ja keiner, und jeden Tag Post und Rechnungen und Werbung und einkaufen gehen und wegschmeißen und gesund leben und genießen. Und vom Arbeiten und Geld verdienen war noch gar nicht die Rede. Das ganze Leben rinnt einem wie Sand durch die Finger, und die wichtigen Dinge gehen dabei verloren. Immer mehr Straßen, immer weniger Ziele.
     

Schlägerei in der Commerzbank
     
    Jetzt spielt er schon wieder »Unter fremden Sternen«, der Ranftl Sepp. »Hab ich Sehnsucht nach der Ferne, hm hm hm hm«, summen wir vor uns hin. Komischer Titel, denk ich mir noch. Das Einzige, was einem in der Fremde vertraut ist, sind doch die Sterne. Den Kleinen und den Gro ßen Wagen finde ich immer gleich. Und die Milchstraße. Sonst eigentlich nix. Aber das reicht mir.
     
    Und der Herbert sitzt immer noch da und sagt nix. Den wollte ich auch mal zum Thema Auszeit anzapfen. Der Herbert hat in der Stadt eine Weinhandlung. Eine kleine schöne … nein, schön ist die nicht. Eine Menge Kartons und die schmale Resopaltheke zum Probieren. Was schön ist bei ihm: Er hat ein sehr angenehmes Neonlicht. Der Herbert ist im Wesentlichen ein recht grantiger Mensch. Von Grund auf. Man könnte auch sagen, er steht den Dingen nicht unreflektiert gegenüber. Dafür mag ich ihn. Ab und zu, wenn ich ein Problem mit mir habe, tue ich so, als wäre es sein Problem, und so erfahre ich über ihn etwas über mich.
     
    Und so habe ich es bei ihm über das Thema Urlaub probiert. Weil Urlaub auch so ein Ding ist. Da mache ich mir Gedanken, ob das denn überhaupt etwas für mich ist, oder ob ich dann im Urlaub nicht doch wieder bloß Tag für Tag eine geistige Liste abhake, was ich daheim erzählen könnte, warum der Urlaub so besonders war, und danach keine Ahnung mehr habe, ob ich jetzt erholt bin oder nicht.
     
    Also ging ich in Herberts Vinothek mit dem Satz: »Herbert, du schaust heute irgendwie schlecht aus!«
     
    »Ich hab schon immer Scheiße ausgschaut, was soi denn da heit anders sei!«, erwiderte er grummelnd, während er die Noagerl der letzten Verkostung in sich reingoss. »Ich weiß es nicht, Herbert, irgendwie schaust du aus wie ein Zwetschgendatschi, der über den Winter im Garten liegen geblieben ist. Ich glaub, du brauchst mal einen Urlaub!« Herbert blickte einigermaßen überrascht auf: »Ich Urlaub, spinnst du, wo soll ich denn da hinfahren?«
     
    »Ja, irgendwohin, wo’s schön ist, wo’s warm ist, am besten ans Meer!«
     
    »Ans Meer, ja.« Er trank den nächsten Rest. »Ans Meer, damit mir die greisligen Feuerquallen die Fiaß verätzen, die Sonna brennt mir die Birn weg, und die Kinder, diese Hundskrüppeln, die verreckten, tanzen mit ihrem Wasserball auf meiner Wampen umanand!«
     
    »Ja, das kann schon sein, Herbert, aber abends, an der Hotelbar, den Spaß, den du da hast, diese Gaudi!«
     
    »Ich allein im Urlaub, an der Hotelbar. Des muaßt grad du sagen, du weißt ganz genau, wenn ich da keinen Bekannten hab, mit dem ich reden kann, dann geh ich auf die anderen los!«
     
    Und das stimmt. Der Herbert ist in der Fremde nicht ungefährlich. Der hat erst neulich in der Commerzbank eine Schlägerei angefangen. Und das war lange vor diesem Finanzzusammenbruch. Da wollte er nur zwei 50-Euro-Scheine auf sein Konto einzahlen. Aber in dieser Filiale, in der es früher vor Angestellten nur so wimmelte, gibt es jetzt nur noch zwei von diesen Jammergestalten, deren einzige Aufgabe es zu sein scheint, den Kunden in den Vorraum rauszuwinken. Wo die
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