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Altstadtrebellen

Altstadtrebellen

Titel: Altstadtrebellen
Autoren: Andreas Giebel
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wenn der Sepp jetzt gestorben wäre, ohne je zu erfahren, dass ich der Einzige war, der ihn verstanden hat. Und als wir so da stehen, hören wir auf einmal wieder: Klack, klack, klack. Alexa, die schöne Alexa, kommt zurück. Mit einem roten Schirm in der Hand bleibt sie für einen Moment stehen, blickt erst verwundert zu uns, wie wir schweigend, aber gebannt im Trockenen stehen, geht dann auf den Ranftl Sepp zu, beugt sich zu ihm hinab, flüstert ihm etwas ins Ohr, und mit einem Mal regt er sich, richtet sich langsam auf, blickt hoch zu Alexa, dann zurück zu uns. Alexa greift ihm sanft unter den Arm, hilft ihm behutsam hoch, nimmt ihn unter ihren Schirm und bringt ihn nach Hause.
     
    Erleichtert, aber doch unangenehm berührt stehen wir da. Schließlich erlöst uns der Zieser Johann von diesem peinlichen Moment. Vor seinem Grill stehend betrachtet er das Elend auf dem Rost: »Also, die Würschtel sind nix mehr!« Alle Blicke fallen auf ihn. Nach einer Lösung suchend, bemerkt er: »Sollen wir vielleicht noch ein bisschen ins Haus gehen?« Seine Frau Angelika blafft ihn sofort mit einem scharfen Flüsterton an: »Bist du wahnsinnig, du weißt genau, dass ich das nicht zulasse, ich bin überhaupt nicht vorbereitet!« Nach einem kurzen Zögern nimmt Johann sichtlich seinen ganzen Mut zusammen und verkündet lauthals: »Es ist auch mein Haus!«
     
    Und mit einem Schlag rumpeln wir alle, wie eine Horde entlassener Strafgefangener, raus aus der Garage und rüber ins Haus.
     

Der Silen am Firmament
     
    Und dann feierten wir richtig, wir tanzten, lachten und sangen uns durch die Nacht. Ich erinnere mich an herrliche Momente, im Flur sah man den Würth Reinhold auf allen vieren. Er studierte in seinem Vollrausch Zahlen und Statistiken in den Zeitungen, die am Boden lagen, die Kinder liefen alle herum mit Schnupftabakresten unter der Nase, und irgendwann, man möchte es kaum glauben, saß Angelika Zieser am Küchentisch, zusammen mit meinem Freund Herbert. Er erklärte ihr anhand von fünf geöffneten Rotweinflaschen und noch mehr halb vollen Gläsern, welche Tannine und welcher Säuregehalt verantwortlich sind für das Bouquet im Abgang!
     
    Tief in der Nacht ging ich auf die Gartenterrasse, frische Luft schnappen, ich blickte hinauf in einen sternenklaren Himmel. Da hörte und sah ich etwas weiter vorne, zwischen zwei hohen Buchsbäumen Dr. Manfred Portzner, die um gut einen Kopf kleinere Waldorf-Mutter fest in seinem beschützenden Griff.
     
    Er resümierte vor sich hin: »Wissen Sie, so zwei, drei Brunnen werde ich wohl noch bauen, aber dann werde ich mich den Musen widmen. Das habe ich mir fest vorgenommen. Musik, Malerei, Bücher, Bildhauerei, tja, ich werde verrückte Dinge tun …«, und dabei lächelte er zu ihr hinab, »… und dazu werde ich Wein trinken, wie einst Silen, der Begleiter des Bacchus. Er war ein Seher, er blickte hinauf zum Firmament und erkannte Vergangenheit und Zukunft gleichermaßen!«
     
    Also gut, dachte ich mir, wenn er meint. Dann schau ich halt auch mal rauf zum Firmament. So ein Sternenhimmel ist schon was ganz Besonderes. Als ich so hochblicke, fällt mir wieder meine hübsche Bedienung aus dem »Café Klughardt« ein, mein Fräulein Tatjana. Vielleicht will ich gar nicht, dass sie mich beachtet. Vielleicht ist es gut so, denn am Ende lernt man sich kennen, und es verpufft eine Illusion. Aber mit ihr zusammen den Sternenhimmel betrachten, das wäre schon mal was.
     
    Wenn man länger hinaufsieht, dann kommt sie ganz langsam näher. Die Tiefe. Diese verdammte Unendlichkeit. Warum, ging es mir durch den Kopf, warum müssen wir Menschen immer alles begreifen, manchmal reicht es doch, wenn man es annimmt.
     
    Als kleiner Junge dachte ich immer, das menschliche Gehirn ist doch nichts anderes als das verkleinerte Modell des Universums. Diese ganzen Zellen, Synapsen und Transmitter im Hirn entsprechen genau den Sternen, den Planeten und Monden dort oben. Und so wie in unserem Gehirn so manche Zelle abstirbt, so verglüht dort oben so mancher Stern. Dann sieht man hinauf und denkt sich: »Aha, schon wieder eine Zelle abgestorben!«
     
    Aber weil das Licht gnädiger ist als die Realität, sehen wir dort oben Sterne, die es gar nicht mehr gibt. Und die, glaube ich, stehen für die Erinnerung.
     
    Und all diese Erinnerungen sind es schließlich, die unser Leben lebenswert erscheinen lassen.
     
    Mitten in diesen Gedanken klingt in der Ferne kaum hörbar eine Trompete. Ich glaube, die
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