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Altstadtrebellen

Altstadtrebellen

Titel: Altstadtrebellen
Autoren: Andreas Giebel
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Puschkin und Placebo haben mich dann bewusstlos in diesen Club hineingeschleift, und so saß ich also auf dem Schoß dieser barocken einfühlsamen Rubens-Frau. Mein Kopf lehnte an ihrem Busen, und als ich aufwachte, sah ich in ihre sinnlichen Augen und erinnerte mich sofort an Puschkins letzte Worte, als er von den Sirenen sprach, die uns vernichten werden. Warum nicht, dachte ich in meiner Lage.
     
    »Isch bin de Schanette!«, meinte sie in breitem Rheinisch.
     
    Ich lächelte, sagte noch: »Sehr nett«, richtete mich auf, trank mit ihr einen Schluck Sekt und versuchte mich zu orientieren.
     
    Alles war in schummriges Rotlicht getaucht, vorne rechts ein kleines Tanzpodest, auf dem sich eine schwarzhaarige Lady in Leuchtunterwäsche um die Stange räkelte, ein Gast saß davor, links die Theke, ein paar Damen, nette Atmosphäre, weiter vorne links die Couchecke, wo sich, schwer erkennbar, ein weiterer Gast von mehreren Frauen verwöhnen ließ.
     
    »Du suchst sischer deinen Freund! Puschi, dein Kumpel is wieder ausm Totenreich zurück!«
     
    Unter dem Berg von Frauen wurschtelte sich Puschkin hervor. »Aaaah, mein junger Held. Wie Sie sehen, habe ich mich getäuscht. Es waren nicht die Sirenen, es ist Circe, die uns beherbergt. Sie hat all die Freier in Schweine verwandelt!« Dabei deutete er auf all die leeren Sessel.
     
    »Wenn der Puschi kommt«, bestätige Schanette, »schmeiße ich alle andern naus. Der hat uns scho so viel geholfe, da gönne wir uns des!«
     
    Ein ganz ausgefuchster Hund ist das, der Puschkin, dachte ich mir.
     
    Von hinten kam Placebo angelaufen und strich sich die Haare glatt: »Ah, bist jetzt endlich aufgewacht? Jetzt pass auf, jetzt zeig ich dir was. Da schau mal, die Frau, die auf der Bühne an der Stange tanzt, siehst die? Und, was sagst? Ich weiß nicht, ob ich mir das bloß einbilde, aber ich glaub, die gefällt mir!«
     
    »Langsam, Placebo!«, sagte ich. »Tipp von mir: Keine Frau von der Stange!«
     
    Und so hat sich das Ganze, wie soll man es beschreiben, dann doch noch zu einem kleinen Umtrunk unter Freunden entwickelt.
     
    Als es dämmerte, nahm Puschkin sein Buch: »Es wird Zeit. Ich muss in den Süden, dort wartet eine Frau auf mich!«
     
    Da das »Red Piano« nahe am Hauptbahnhof war, standen wir schon bald vor den Bahnsteigen und warteten auf Placebo. Der kam nach einer Weile vom Schalter mit einem für ihn wichtigen Zettel in der Hand. »Also passt auf, er hat mir das genau erklärt. Wenn ich Kinder hätte und wir eine Gruppe wären und wir vor 14 Tagen mit Bahncard 25 und Zugbindung vorreserviert hätten, wären wir relativ günstig weggekommen. Hätten wir schon vor vier Jahren vorreserviert, hätten wir sogar noch was rausgekriegt. Aber heute so spontan, hat er gemeint, ist es praktisch unmöglich!«
     
    Aber Puschkin wäre sowieso niemals in einen Zug eingestiegen.
     
    »Was ist das hier? Schienen und Gleise, Entzug der freien Entscheidung. Gleise binden. Ich muss weg hier.«
     
    Auf einmal sauste er raus, wir hinterher auf den Vorplatz, zum großen Busbahnhof. Und wie es der Zufall will, stiegen in einen Reisebus gerade so um die sechzig ältere Damen ein.
     
    Puschkin war begeistert: »Ist das nicht herrlich, dieses Grau? Das ist mein Bus!« Und er setzte sich in Bewegung.
     
    Placebo wollte ihn aufhalten: »Puschkin, langsam, das sind doch alles alte Weiber!«
     
    Puschkin: »Kunst hat viele Gesichter.«
     
    Und so stellte sich Puschkin direkt hinter den Busfahrer.
     

Das Leuchten in Puschkins Augen
     
    Und ihn fragte Puschkin sofort: »Fahren Sie Richtung Süden?«
     
    Busfahrer: »Ja freilich, zum Dörggelen. Nach Südtirol, der Sonne entgegen.«
     
    Puschkin: »Die Richtung stimmt.«
     
    Dem Busfahrer kam die Stimme bekannt vor. Er drehte sich um: »Sagen S’ a mol, Sie sind doch der, der mich im Museum so z’sammbutzt hat. Sie, ich müsste mit Ihnen eigentlich a weng beleidigt sein. Aber ich sag Ihnen was, ich bin Ihnen direkt dankbar dafür. Das ist genau meins, im Bus mit a Haufen Leut in die Berg nei und danach der Sonne entgegen. Wissen Sie, der Franke an sich braucht a weng sein Bados!«
     
    Puschkin: »Sie meinten wahrscheinlich Pathos, aber das macht ja nichts. Hier, mein junger Held«, sagte er und reichte mir sein Buch. »Ich werde ein neues schreiben.«
     
    Er übergab mir sein Buch, bewegte seine rechte Schulter und richtete sich erstmals befreit auf.
     
    Puschkin: »Placebo, wir sehen uns.«
     
    Placebo: »Ja, Puschkin,
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