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Altstadtrebellen

Altstadtrebellen

Titel: Altstadtrebellen
Autoren: Andreas Giebel
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Haben Sie mir nicht zugehört? Ich sagte gemäßigter Flügel. Wichtig wär mir das mit den Weibern. Wo wir grad dabei sind: Wie schaut denn das eigentlich aus mit Wiedergeburt?«
     
    Religionsberaterin: »Das ist eine andere Abteilung. Da gibt es verschiedene Möglichkeiten, wir haben den Hinduismus.«
     
    Zweites Ich: »Den Hindu… was?«
     
    Religionsberaterin: »Das ist vielleicht für Sie nicht so günstig, da kommt es ein bisschen darauf an, wie man gelebt hat. Da kann es passieren, dass man als Wurm wieder auf die Welt kommt.«
     
    Zweites Ich: »Reden Sie mit mir? Meinen Sie mich? Ich als Wurm, dass mich meine Urenkel in der Mitte auseinanderreißen?«
     
    Religionsberaterin: »Wie gesagt, ist vielleicht nicht so günstig. Da hätten wir noch den Dalai Lama.«
     
    Zweites Ich: »Ach ja? Was macht der?«
     
    Religionsberaterin: »Da haben Sie auch Wiedergeburt, und Sie dürfen im Grunde genommen alles, aber es ist alles nicht mehr so wichtig.«
     
    Zweites Ich: »Das ist es! Das ist gut, schreiben Sie das auf, das gefällt mir. Jetzt lesen Sie’s mal vor, was haben wir denn alles?«
     
    Religionsberaterin: »Ja also, wenn ich kurz zusammenfassen darf. Das wäre Maria, Weihwasser, Altötting, nach wie vor.«
     
    Zweites Ich: »Nach wie vor! Wenig Alkohol, hab ich mir gemerkt.«
     
    Religionsberaterin: »Dann Wiedergeburt, mehrere Frauen und alles nicht mehr so wichtig.«
     
    Zweites Ich: »Genau meins. Schnüren Sie mir das Paket in Ruhe zusammen. Hier haben Sie meine Karte. Schicken Sie’s mir zu. Ich muss schon wieder aufs Klo. Zum Spaß hätte ich Sie ja noch fragen können: Wo kann man denn hier mal austreten? Hahaha. Sind wir doch noch zusammengekommen, wir zwei. Ich hab schon immer gesagt, Religion muss sein wie ein Hefeteig, wenn die Mischung stimmt, geht’s auf. Wiederschauen.«
     

Werdende Rotweinkenner
     
    Und am Schluss habe ich dann gemerkt, dass er doch nicht ich ist. Ich war wieder geheilt. Das ist mehr so ein Spaßvogel. Bestenfalls ist er so, wie ich manchmal befürchte, von anderen gesehen zu werden. Damit muss man leben.
     
    Beim Rausgehen aus dem Institut habe ich noch mal eine falsche Tür erwischt. Ein erschreckender Anblick traf mich. In einem kahlen Raum standen neun Männer mit Sektgläsern in der Hand, und alle blickten sie flehend, hoffnungsvoll in meine Richtung. Als ich gehen wollte, sprach mich der anzunehmende Vorsitzende an: »Warten S’. Möchten S’ nicht mit reinkommen? Dann wären wir zu zehnt. Wir haben uns grad frisch gegründet, wir sind der Verein der vergessenen Generation. Schauen S’ uns an, wir sind alle genau zwischen 40 und 65 Jahre alt, also in dem Alter, wofür sich die Öffentlichkeit überhaupt nicht interessiert. Die Jungen sind interessant, ja, die wollen noch was erleben, die Alten, die wollen wieder was erleben. Aber wir sind keine Zielgruppe, für nichts und niemanden, ist Ihnen das nicht aufgefallen? Die Industrie interessiert sich nur für die Ouvertüre und das Finale des Lebens. Uns wollen s’ abspeisen mit Baumärkten und Bierwerbung. Wollen S’ nicht mitkommen? Wir haben uns so viel vorgenommen. Nächste Woche wollen wir Rotweinkenner werden, dann können wir uns über Rotwein unterhalten. Wir haben sogar schon ein eigenes Lied.«
     
    Und schon fingen alle an nach der Titelmelodie des Films Der Ozeanpianist zu singen:
     
    »San nimmer jung und no ned oid,
     
    so mittendrin, da ist so koid.
     
    Wir alte Buam,
     
    im Schrebergarten,
     
    graben unser Gruam
     
    und müssen warten.«
     
    Sie wiederholten diese sechs Zeilen und gingen lauter werdend auf mich zu, ihre Gesichtszüge verformten sich diabolisch, Schweiß perlte mir über die Stirn, ich kam mir vor wie in Rosemaries Baby. Zitternd rüttelte ich an der verschlossenen Türe und rief laut in Todesangst: »Ich will nicht, ich will in keinem Verein dabei sein, noch nie, auch bei euch nicht!«
     
    Da spürte ich ein Tätscheln an meiner linken Wange und hörte eine beruhigende tiefe Frauenstimme: »Jetzt wach schon auf, mein Kleckerbärchen, du musst doch nirgends dabei sein, wenn du keine Lust hast!«
     
    Als ich die Augen öffnete, saß ich auf dem Schoß einer barocken Rubens-Frau im »Club Red Piano« .
     

Zurück im Leben
     
    Placebo hat mich später aufgeklärt. Ich muss tatsächlich einem Mann hinterhergelaufen sein und gegen eines dieser Anwohnerlizenzparkschilder gedonnert sein. Das kann leicht passieren, die sind nämlich genau auf meiner Stirnhöhe.
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