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Altstadtrebellen

Altstadtrebellen

Titel: Altstadtrebellen
Autoren: Andreas Giebel
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französischen Akzent hatte er sich antrainiert. Es lief blendend. Benno lebte seinen Traumberuf aus.
     
    Nur einmal hatte er Pech. Bei einem Blitzauftrag schrieb er in der Eile die falsche Hausnummer auf.
     
    Er stapfte routiniert in den dritten Stock eines Mietshauses, klingelte, eine Frau öffnete ihm, er grüßte freundlich, marschierte, ohne zu zögern, durch den Flur in die Wohnküche, in der schon sechs Frauen in Erwartungshaltung saßen. Was Benno nicht wissen konnte, war, dass diese Frauen zu einer Tupperware-Party gekommen waren. Benno wunderte sich zwar einen Moment über die irritierten Blicke, legte aber dann doch routiniert los. Er stellte seinen Rekorder auf die Anrichte und schaltete ein. Leise säuselten schwülstige Chansons, während Benno mit den Hüften kreiste und langsam sein bretonisches Fischerhemd aufknöpfte, unter dem sein präpariertes Unterhemd lauerte. Die vermeintliche Gastgeberin hatte inzwischen die Polizei gerufen. Die Beamten betraten in voller Schutzmontur und mit vorgehaltenen Waffen gerade in dem Augenblick die Küche, als sich der beleibte Benno mit seinem Fischgeruch mit einem Hüftschwung auf den Schoß einer der Mütter setzen wollte.
     
    Nach zwei Tagen Untersuchungshaft hatte sich die Situation schließlich aufgeklärt, und so saß er nun bei Ruth an der Theke, sauber und gekämmt, und stieß auf seine Freiheit an.
     
    Nach dem Besuch bei Ruth ging es wie gewohnt weiter, hoch die Rambergstraße nach Illinois in die etwas karge Trinkhalle »Zur letzten Bleibe«. Wir dachten immer, das Lokal heißt so, weil ein Friedhof in der Nähe ist, aber dem war nicht so. Yevgen, der Wirt, gab seinem Lokal diesen schönen Namen, weil er der Überzeugung war, seinen Arbeitsplatz in diesem Leben nicht mehr zu wechseln.
     
    Das war dann auch unsere letzte Station. Weiter sind wir nicht mehr gekommen. Den letzten Bundesstaat, Michigan am gleichnamigen See, das wäre ja in München der Kleinhesseloher See gewesen, ließen wir weg. Da gibt es nur das »Seehaus«, und da muss man nicht reingehen und schon gar nicht eine so wunderbare Extremtour beenden. Diese Atmosphäre, die selbstgefällige Studenten, Töchter und Söhne betuchter Eltern, ausstrahlen, passte nicht in unser Konzept.
     
    Zum anderen konnte man unser Tourende in der »Letzten Bleibe« ohne Übertreibung als großartigen Abschluss bezeichnen. Herbert wurde dort immer unerwartet melancholisch. Der Wirt kam aus Bar, einem kleinen Ort in der Ukraine, und spielte deshalb immer emotional anrührende ukrainische Choräle, welche sicher ihr Übriges zu Herberts Stimmungsumschwung beitrugen. Herbert erzählte von seinem Vater, der in russischer Gefangenschaft viel zu früh gestorben, aber doch ein großartiger Geschichtenerzähler gewesen sei. Dann kam Herbert ins Stocken, er schluckte, ohne zu trinken, die Tränen flossen, und als er sich halbwegs gefasst hatte, sah er mich an und begann mir eine von diesen Geschichten zu erzählen, mit seinen wässrigen Augen, und ich weiß gar nicht, ob ich ihm richtig zuhörte, aber wie er das erzählte, mit einer beinahe begeisterten Trauer, holte er damit seinen Vater für einen Moment zurück ins Leben.
     
    Da kamen auch mir die Tränen, und deswegen ihm auch wieder, wir lagen uns an der Theke in den Armen und heulten uns aus. Yevgen, der Wirt, dachte ich, der muss sich wundern. Alle vier Wochen kommen die zwei vorbei und fangen an zu weinen. Aber nein, er stellte uns zwei Wassergläser Wodka hin, auch ihm flossen die Tränen, er schien das nicht nur zu kennen, sondern auch zu mögen. Wie gesagt: ein großartiger Abschluss.
     

Die letzte Tour
     
    So war das vor gut zehn Jahren. Jeden vierten Donnerstag drehten wir die Runde. Und im letzten Mai, nachdem ich das Thema Reisen abgeschlossen hatte, kam ich auf die Idee, noch einmal loszuziehen. »Was meinst du, Herbert, wir zwei noch einmal unsere Route 66, in alter Erinnerung, Freiheit, Rock’n’ Roll, Easy Rider?« Ich konnte ihn überreden. Wir sind tatsächlich noch einmal losgezogen. Punkt sieben Uhr aufstehen, kein Frühstück, wie früher, und los. Der »Sorgenbrecher«, unsere erste Station, hatte gerade Ruhetag. Den hatte der früher nie. Gut, es war kein Donnerstag, aber darum geht’s ja gar nicht. Aber was soll’s, dachten wir uns, selbst schuld. Um die Ecke, wo sonst der »Zapfhahn« schon freudig auf uns wartete, befindet sich jetzt ein Laden mit dem Titel: »DVD 24 h«! Wir zwei unwissenden, zurückgebliebenen Kleinbürger
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