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Altstadtrebellen

Altstadtrebellen

Titel: Altstadtrebellen
Autoren: Andreas Giebel
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hatten keine Ahnung, was das ist. Aber wir gingen rein, weil ja immer offen ist, eben »24h«. Außer uns war niemand da, keiner! Momente entrückter Ratlosigkeit.
     
    Inzwischen weiß ich Bescheid, was da drin wie funktioniert. In der Wand befindet sich ein großer elektronischer Kasten mit einem kleinen Bildschirm. Man drückt irgendwo ein paar Zahlen, eine DVD kommt heraus, die man dann ausgeliehen hat. Das weiß ich jetzt. Aber als wir in unserem ehemaligen »Zapfhahn« standen, ratlos um uns blickend, wussten wir gar nichts. Und da kam ein Kunde herein, mit Hausschlappen, Trainingshose und einem beeindruckenden T-Shirt mit dem Aufdruck »Mötley Crüe - Love slave«. Dieser Kunde stand ewig vor dem kleinen Bildschirm. »Meine Güte, der arme Kerl«, sagte ich zu Herbert, »dem ist sein Fernseher kaputtgegangen, jetzt muss er hier für Geld an diesem kleinen Bildschirm im Stehen einen Film anschauen. Jetzt ist es ja noch ruhig, um halb acht Uhr morgens, aber sonst, wenn da mal drei, vier Leute anstehen, und der schaut sich gerade Ben Hur an, das zieht sich!«
     
    Wir zogen weiter, Richtung »Fliesenorgie«. Die Fliesen sind geblieben, aber das war jetzt ein Friseursalon. »Die mit den Scherenhänden«. Wir hatten noch keinen Kaffee, kein Wasser, gar nix. »Herbert, da gehen wir jetzt rein, da kriegen wir wenigstens einen Kaffee!«, hörte ich mich noch sagen. Einen Kaffee stellten sie uns tatsächlich hin, aber was die mit unseren Haaren gemacht haben! Alles nach vorn gekämmt, vor die Ohren, über die Ohren, in die Stirn, runter, rechts über die Augen, und dann mit einem als Haarspray getarnten Sprühkleber alle Haare in kleine dünne Stahlstangen verwandelt. Vermutlich war es mein Fehler, dass ich anfangs sagte, ich hätte es gern normal.
     
    Und der Kaffee war grausam, abgestandenes Badewasser mit einem Schuss Maggi, nichts anderes. Wir haben dennoch viel davon getrunken, aus Verlegenheit, zudem hatten wir Durst. Leicht zittrig verließen wir diesen Kunsttempel und suchten nach dem Blumenladen daneben. Mit der netten Frau Kattelbach hatten wir früher viel Spaß. Die kleine mollige Frau Kattelbach in ihrem schönen Blumenladen hat sich immer riesig gefreut, wenn sie uns sah. Wir kauften vier Rosen und schenkten sie ihr. Meistens hatten wir denselben Satz beim Reingehen: »Ach, Frau Kattelbach, geben Sie uns doch bitte einen schönen Strauß Gürtelrosen!« Und da hat sie dann gelacht, und wir mit ihr, es war eine Freude.
     
    Anstelle des Blumenladens ist dort jetzt ein Call-by-Call-Center. Die Tür war offen, man sah die Bildschirme, und Herbert war wütend. Auf alles sowieso, dann auf den Kaffee, auf unsere Frisuren und jetzt statt Blumen und Kattelbach Bildschirme. Ich musste ihn von hinten festhalten und ihn weiterschieben. »Komm, Herbert, komm, geh ma«, weil ich befürchtete, er könnte den ganzen Laden zertrümmern.
     
    Schnell brachen wir auf Richtung »Siphon«, unsere Dichterklause, da würde dann, dachten wir, wieder alles gut, aber an dieser Stelle befindet sich jetzt ein »Nagelstudio«! Auch so etwas kannte ich nicht. Gedacht habe ich mir: Früher hieß so etwas »Werkzeuggeschäft«, und da hat man wenigstens noch einen Hammer dazu gekriegt. »Nagelstudio«! Unmöglich! Wir wollten schon weitergehen, als mir einfiel, dass in meinem Wohnzimmer das Bücherregal bedenklich weit weg von der Rückwand steht. Entferne ich ruckartig ein Buch, ist ein gewisses Schwanken nicht zu leugnen. Also, ein paar Nägel bräuchte ich. So zehn achtziger Nägel, und die kauf ich jetzt, dachte ich mir, sagte: »Herbert, ich bin gleich wieder da!«, und ging rein. Kaum stand ich in dem Laden, stürmt mir ein junger Mann überfreundlich entgegen, drängt mich an einen Tisch und beginnt, an meinen Fingern rumzufummeln. Nach meiner panischen Flucht erklärte ich Herbert: »Weißt du, ich hab nichts gegen Schwule, aber man kann doch vorher ein bisschen reden!«
     
    Oben in der Schellingstraße: »Zur trüben Funzel« weg, »Zum Fass« weg, alles »Coffee to go«, aber ich will keinen Kaffee zum Gehen, ich brauche, wenn überhaupt, ein Bier zum Trinken. Vorne, in Missouri, ist auch Ruths kleiner Stehausschank weg, da ist jetzt auch ein Friseur: »Figaros Locke«. Wir sind reingegangen. Die mussten das wieder richten, was die anderen verbrochen haben. Aber auch hier lief es nicht nach Wunsch. Nach dem Waschen schob der mich vor den Spiegel und fing da an rumzustylen. Es gibt anscheinend immer mehr Friseure, die kaum
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