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Altstadtrebellen

Altstadtrebellen

Titel: Altstadtrebellen
Autoren: Andreas Giebel
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noch schneiden, die bloß noch stylen. Ich habe die Augen zugemacht, wollte gar nicht wissen, was der da macht. Herbert meinte irgendwann: »Wenn der so weitermacht, schauen wir aus wie der Schweinsteiger in zwanzig Jahren!«
     
    Aber der Kaffee war gut. Der war richtig gut. Ach, hat uns der Kaffee gut geschmeckt, der erste Genuss an diesem Tag. Was haben wir diesen Kaffee getrunken! Der war allerdings sehr stark. Dann verließen wir mit seltsam gestylter Haarpracht, wackelnd und zitternd vom Kaffee, »Figaros Locke« und ruckelten übernervös den Gehsteig entlang. Entsetzt blickenden Passanten rief ich zu: »Wir waren nur beim Friseur!« Geglaubt hat uns das keiner.
     
    Also auf zur »Letzten Bleibe«, unserer letzten Hoffnung. Zu Yevgen, unserem ukrainischem Wirt, denn zum Heulen war uns auch schon zumute. Der muss aufhaben, sagten wir uns, befürchteten aber innerlich das Schlimmste. Und schon von Weitem sahen wir uns bestätigt. Die »Letzte Bleibe« war einem Matratzen-Discount gewichen. Der vermutlich fünfzigste in dieser Stadt. Was ist los mit uns Menschen? Es muss eine bestimmte Bevölkerungsgruppe geben, die Unmengen von Matratzen braucht. Ist das irgendein Brauchtum aus dem Mittelalter? Eine religiöse Vereinigung mit dem Gebot: »Jeden Montag eine neue Matratze, sonst lebst du unrein!«
     
    Wir gingen rein mit dem Vorsatz, so zu tun, als würden wir uns beraten lassen, und dachten, da kriegen wir sicher ein Glas Wasser, oder zwei, damit wir von dem Koffeinschock runterkommen. Was da drinnen mit uns los war, können wir uns bis heute nicht erklären. Wir waren irgendwie durch den Wind. Irgendwann stand ich da mit einer »7-Zonen-Taschenfederkernmatratze Jupiter« unter dem Arm. Luftdicht eingerollt, in Folie verschweißt. Und Herbert mit einer »5-Zonen-Kaltschaummatratze Samba«! Haben wir gekauft. Keine Ahnung, warum. Und so sind wir mit unserem Neuerwerb weitergelaufen, immer noch wackelnd und zitternd vom Kaffee, aber mit topgestylten Frisuren. Was sollten wir auch machen. Wenn wir die Route nicht verlassen wollten, blieb uns nichts anderes übrig, als nach Michigan zu laufen. Englischer Garten, Kleinhesseloher See, ins »Seehaus«. Irgendwo mussten wir was trinken.
     
    Das »Seehaus« gab es noch. Drin war es genau so, wie wir es uns vorstellten: überall BWL-Studenten. Aber egal. Wir legten unsere Matratzen ab und zitterten Richtung Theke. Als wir die Arme zum Bestellen hoben, sprach uns hektisch von hinten ein Kellner an, mit übrigens der gleichen Frisur, die wir hatten, wir sollten doch sofort unsere Matratzen wegräumen, er käme nicht mehr durch!
     
    Vermutlich lag es am Kaffeeüberkonsum, dass ich die Folie der Matratze beim Aufheben etwas ungünstig anfasste, auf jeden Fall riss diese, mit einem Ruck schnalzte die Matratze heraus, direkt auf einen Tisch und schmiss fünf Zombies um. Eine Menge Getränke auch noch. Die mussten wir dann bezahlen. Danach hatten wir kein Geld mehr und gingen heim. Das war mit Sicherheit der einzige Tag, an dem ich mit Herbert unterwegs war und nüchtern heimgekommen bin. Herbert meinte noch beim Verabschieden: »Mit Amerika reicht’s mir endgültig!«
     

Lucies alte Kneipe
     

Respekt vor Kakerlaken
     
    Das muss ja auch mal aufhören, diese sinnlose Sauferei mit so genannten Freunden mit immer den gleichen Witzen, die ich auch noch erzählen muss. Aber schön war’s schon mit der Lucie, also bei der Lucie, der Wirtin. Eine großartige Frau, eine große, starke Frau in jeder Hinsicht.
     
    Am runden Tisch in der Mitte saßen Chosy, Walter und Simmermann. Chosy, der eigentlich Chlodwig hieß, hatte als Einziger einen Stuhl mit Armlehne. Ihm gegenüber Walter, der gerne mit seiner Rechten den nicht vorhandenen Spitzbart streichelte, neben ihm Simmermann. Simmermann mit S. Der war meistens nicht von Anfang an da, weil er vorher noch beim Arzt sein musste.
     
    Hinten an der Wand saß immer Fred, der ewige Tourist aus Hannover. Der Alibipreuße, ein Spaßvogel sondergleichen, wie er von sich glaubte. Für uns war er eher lästig, aber weil er das nicht merkte, wurde er von uns geduldet.
     
    Am einzigen Stehtisch stand immer Bronske. Manchmal kam Lucie mit dem Tuch aus der Küche, wedelte den Rauch weg und sagte: »Bronske, was bin ich?«
     
    »A Wahnsinnsfrau!« Dann gab sie ihm einen Kuss auf die Stirn und fragte ihn: »Kann ich dir noch irgendwas bringen?«
     
    »Lucie, bring mir no a Packl Roth-Händle.«
     
    Wir hatten damals die Vermutung, dass
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