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Altstadtrebellen

Altstadtrebellen

Titel: Altstadtrebellen
Autoren: Andreas Giebel
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»Zur trüben Funzel« im Bundesstaat Oklahoma. Das einzige Lokal, von dem ich bis heute nicht weiß, was wir da drinnen gemacht haben. Ganz eigenartig. Das hab ich aber nie gewusst, auch kurz nach dem Verlassen nicht. Bestimmt lag das an der Tageszeit. Am frühen Nachmittag kann man noch so körperbewusst leben, da sackt der Kreislauf in den Keller! Zumindest habe ich keine schlechten Erinnerungen.
     
    Irgendwas werden wir schon gemacht haben. Ein Stück weiter oben lag das Lokal »Zum Fass«, doch da sind wir nicht gerne rein, das war uns zu bürgerlich, da gab es sogar kleine Speisen. Aber wir mussten rein, um Kansas zu streifen, haben aber im Regelfall nur ein Reparaturpils getrunken und sind wieder weitermarschiert, Richtung Missouri, also in unserem Fall Richtung Barerstraße zu einem kleinen gemütlichen Stehausschank. Den durften wir auf keinen Fall auslassen, alleine schon wegen der Wirtin, oder, um genauer zu sein, wegen ihres Namens, Ruth, also wegen Route 66, das musste einfach sein. Und um den Namen zu vervollständigen tranken wir bei ihr dann auch immer sechs Sechsämtertropfen. Ruth war schließlich noch keine 66, und wir wollten sie ja nicht beleidigen.
     

Fisch auf Bennos Haut
     
    Bei Ruth traf ich einmal den Wilfinger Benno. Der kam gerade aus der Untersuchungshaft. Das war ein kleiner Rückschlag, da ihn das Schicksal jüngst auf der Karriereleiter nach oben getrieben hatte.
     
    Der Wilfinger Benno war eigentlich Lastwagenfahrer. Einmal hatte er eine Fuhre Fisch in einem Kühllaster zu transportieren: Nordseeschollen und Springlachse aus Reykjavik. Als er durch die kleine Stadt Uelzen fuhr, leuchtete plötzlich die Warnlampe der Kühlanlage auf. Benno blieb auf dem Marktplatz neben der Kirche stehen, nahm sein Werkzeug, legte sich in seinem zerschlissenen Unterhemd unter die Zugmaschine, versuchte irgendetwas zu entdecken und schraubte und bastelte herum. Öl- und dreckverschmiert kroch er erfolglos wieder hervor, es war nichts zu machen. Die Lampe blinkte erbarmungslos weiter, die Kühlung war ausgefallen. Und das an einem Sonntag! Keine Werkstatt hatte geöffnet. In seiner Panik wollte er nach seinem Transportgut sehen, öffnete die hinteren Ladetüren, und schon kam ihm ein Schwall aufgetauter Springlachse entgegen. Jetzt war er richtig eingesaut. Ihm blieb nur noch die Möglichkeit, seinen Chef anzurufen. Wenn der keine Lösung hat, dachte sich Benno, weiß er wenigstens Bescheid.
     
    Da sah er auf der anderen Straßenseite eine Frau in einen Laden hineingehen und dachte, da gehe ich hinüber, die haben sicher Verständnis und lassen mich telefonieren! In seiner Aufregung sah er allerdings nicht, dass es sich um die Frauenbuchhandlung »Desdemona« handelte. Die hatte an diesem Sonntag geöffnet, da eine Lesung stattfand. Das Buch hieß Salz auf unserer Haut, die nicht standesgemäße, aber ergreifende Liebe einer Pariser Intellektuellen zu einem bretonischen Fischer. Und just in dem Moment, als die Vorleserin an die Stelle kam, in der die beiden sich eng umschlungen ihrem ersten Liebesakt nähern, betrat Benno, verölt und verdreckt im zerrissenen Unterhemd und mit seinem ausgeprägten Fischgeruch die Buchhandlung. Siebzehn Frauen starrten den Benno an, nicht unbedingt ablehnend, manche durchaus wollüstig. So viele Frauen, dachte Benno, haben mich in meinem ganzen Leben noch nicht angeschaut. Beide Seiten schienen auf jeden Fall sehr überrascht. Einige Zuhörerinnen mögen das sogar für eine Inszenierung gehalten haben. Auf jeden Fall wichen die Schrecksekunden sehr schnell einer euphorischen Begeisterung. Noch bevor die Inhaberin der Buchhandlung sich zu einer sachlichen Regelung durchringen konnte, zogen die Frauen Benno in die Mitte ihrer Runde, andere ließen die Rollos herunter, die Tür wurde zugesperrt. Sektkorken knallten, ein hitziger Sonntagnachmittag folgte. Einer genaueren Beschreibung des Geschehens enthielt sich der Benno in seiner Erzählung.
     
    Benno wurde fortan für Privatveranstaltungen engagiert. Zum Lastwagenfahren blieb ihm keine Zeit mehr. Sein Terminkalender war voll. Seinen Tagesablauf musste er streng regeln. Außerdem musste er beachten: wenig Bewegung, viel Bier, da sein Bauchumfang wichtig war für seine Auftritte.
     
    Bevor er zu einem Termin loszog, holte er einen nicht mehr ganz frischen Fisch aus dem Kühlschrank, rieb sich damit ein, zog eines der zehn mit Öl und Dreck präparierten Unterhemden über und nahm seinen Kassettenrekorder. Sogar einen
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