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Vater. Mörder. Kind: Roman (German Edition)

Vater. Mörder. Kind: Roman (German Edition)

Titel: Vater. Mörder. Kind: Roman (German Edition)
Autoren: Giampaolo Simi
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1
    I n meinem zweiten Leben bin ich Furio Guerri, das Monster. Ich zupfe mir die Haare in die Stirn, klappe den Schirm meiner Mütze herunter und schaue durch eine dunkle Sonnenbrille nach draußen. Dann nehme ich die Supermarkttüte und steige aus.
    Das Auto lasse ich an einer Mauer am Bahndamm stehen, neben einem ausgebrannten Wohnwagen. Ich fahre einen roten Alfa Romeo Spider »coda tronca«, Baujahr 1970, ein Modell, das man nicht mehr so häufig sieht. Aber es gibt Dinge, auf die nicht einmal ein Monster verzichten kann.
    Ich laufe an drei Wohnblöcken aus Backstein entlang, bis zu dem Supermarkt, der dasselbe Logo trägt wie meine Plastiktüte. Zwischen dem dornigen Gestrüpp dahinter kleckert der neue Straßenbelag aus wie eine halbherzig verfolgte Idee. Hier beginnt der Zaun. Frisch lackiert, in Dunkelrot. Dahinter Klötze aus grobem Stahlbeton mit schwarzen Fensterrahmen aus Aluminium. Wie immer sehe ich mir den Komplex genau an. Nur die Eisenstäbe fehlen, sonst unterscheidet er sich kaum von einem klassischen Gefängnis.
    Auf dem größten Gebäude, zwischen der italienischen Flagge und den Fenstern im ersten Stock, prangt der Schriftzug »Istituto Comprensivo Guglielmo Marconi«. Ebenfalls rot, ein dunkles Rot, wie das Blut einer Vene. Das kann aber auch an meiner Sonnenbrille liegen.
    Glastüren scheppern, und ein unerträglicher Druck spült grölende Jugendliche nach draußen. Mittagspause.
    Ich passiere in zweiter Reihe parkende Geländewagen wartender Eltern, erreiche den Sportplatz hinter der Schule und setze mich in den Schatten der Pinien. Diese Bank habe ich mir schon am ersten Tag ausgesucht, weil sie nicht vollgekritzelt und zerkratzt ist. Das scheint kein Ort zu sein, an dem die Teenies sich zum Knutschen treffen.
    Ich knote die Tüte auf, aber bevor ich in mein Brötchen beiße, lasse ich mir noch zehn Tropfen aus dem Fläschchen direkt auf die Zunge fallen.
    Nur eine sanfte Therapie zur Stabilisierung, hat der Arzt gesagt.
    Aber vom Meer träume ich immer noch.
    Ich bin das Monster Furio Guerri, doch ich muss aussehen wie ein Arbeiter in der Mittagspause.
    Eine Klasse schwärmt zur letzten Sportstunde auf den Platz. Die Jungen bilden zwei Mannschaften und legen ihre Pullis als Torpfosten zurecht. Die Mädchen stellen sich im Kreis auf, um Volleyball zu spielen. Nicht alle. Zwei oder drei aalen sich auf der Hochsprungmatte in der Sonne.
    Die eine hat ein pinkfarbenes Plastiktäschchen dabei. Einer anderen quillt der Hüftspeck aus der engen Jeans, die am Hintern mit blauen Flügeln bestickt ist. Und eine dritte ist in eine olivgrüne Jacke mit Paillettenschriftzug eingemummt, den ich aus der Entfernung nicht lesen kann. Reißverschluss bis oben zu, Kapuze auf dem Kopf. Nur eine pechschwarze Haarsträhne lugt hervor, gebogen wie eine runde Klammer. Das Gesicht verschwindet hinter einer dunklen Sonnenbrille in Tropfenform. Dunkler als meine.
    Starr sitze ich auf meiner Bank und bewege nur die Hände, tief in den Taschen meiner Trainingsjacke aus Acryl.
    Vielleicht bewegen sie sich aber auch ganz von allein, wie Riesenspinnen, die in einem dunklen Sack gefangen sind und hysterisch zappeln.

2
    E s gibt aber nicht nur Furio Guerri, das Monster.
    In deinem ersten Leben bist du Furio Guerri, Mitarbeiter im Außendienst von Aggradi Grafik & Druck.
    Abend für Abend rollst du mit deinem roten Spider, Baujahr 1970, im Rückwärtsgang in deine Garage am Haus Nummer 5. In den Nachbarhäusern haben die Familien dann längst gegessen.
    Abend für Abend ziehst du das Gartentor hinter dir zu, steigst die drei Stufen zwischen den Terrakottaschalen mit Salbei und Rosmarin hinauf und streichelst das Keramikschild mit euren Namen: Caterina, Elisa, Furio. Wenn du die weiße Tür aufschließt, die noch den Geruch von Lack verströmt, bist du jeden Abend aufs Neue glücklich. Vor allem aber kannst du es kaum erwarten, die Schuhe auszuziehen. Für einen Vertreter haben Schuhe nicht bequem zu sein, sondern makellos. Schuhe sind für einen Vertreter von existenzieller Bedeutung. Sie machen dreißig Prozent seines Erfolges aus. Gerade weil sie dem Kunden nicht als Erstes ins Auge springen, sind sie das Detail, das sich am stärksten einprägt. Ein ungekämmter Vertreter mag noch sympathisch wirken, aber wer gibt jemandem einen wichtigen Auftrag, der in ausgelatschten Tretern aus Kunstleder und Gummi daherkommt?
    Und dir, Furio, geben sie viele Aufträge. Du verstehst es, den Leuten Vertrauen einzuflößen. Deshalb
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