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Vater. Mörder. Kind: Roman (German Edition)

Vater. Mörder. Kind: Roman (German Edition)

Titel: Vater. Mörder. Kind: Roman (German Edition)
Autoren: Giampaolo Simi
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ist. Viel einbilden kann ich mir darauf allerdings nicht, und ein Trost ist es schon gar nicht.
    In der fahlen Sonne sehen die schrägen Schatten der Pinien fast bläulich aus. Ich habe noch weiter weg geparkt als sonst und auch eine andere Mütze aufgesetzt. Heute nehme ich fünfzehn Tropfen, denn die Nacht, die ich hinter mir habe, war eine der schlimmsten in letzter Zeit. Ich habe vom Meer geträumt, und von der Insel.
    Wenn ich auch von der Insel träume, nehme ich mehr Tropfen. Die Dosierung ist alles bei diesen Mitteln, die aufs Gehirn einwirken.
    Es ist wieder Mittag, und als ich die Mädchen durch das Tor nach draußen strömen sehe, kann ich die Hände nicht stillhalten, selbst dann nicht, wenn ich sie in die Innennähte meiner Taschen kralle.
    In Grüppchen zu zweit oder zu dritt überqueren sie die Wiese. Heute kein Volleyball, wie es scheint.
    Die Mädchen setzen sich in die Ecke, wo vereinzelt noch ein paar Grasbüschel stehen. Eine ziemlich junge blonde Lehrerin in Jeans und halblanger Strickjacke begleitet sie. Hefte, Mäppchen und Stifte werden hervorgekramt. Manche tippen ihre Notizen einfach ins Handy.
    Stufenförmige Ponys, gerade Ponys, wasserstoffgebleichte Ponys, ein blauer Pony ist auch dabei. Rosa Sneakers, weiße Lack-Ballerinas, schwarze Basketballschuhe mit neongrünen Blümchen. Um die Gesichter zu erkennen, bin ich nicht nah genug dran.
    Ich bin ein Monster, aber ich bin nicht wie meine Klassenkameraden. Ich nehme mir, was ich will. Irgendwann tu ich es.
    Zwei Tage später belasse ich es bei fünf Tropfen. Ich klettere durch einen ausgetrockneten Abflussgraben, krieche unter dem ausgebeulten Zaun durch und stehe auf dem Lehrerparkplatz, als hätte ich soeben meine Autotür zugeschlagen.
    Für ein Monster gibt es keine wirklich schwierigen Dinge. Oder wenigstens ist nichts schwieriger, als ein Monster zu sein. Ich weiß nicht, wie ich das erklären soll, aber so ist es halt.
    Ich steuere auf einen der Eingänge zu und trete ungezwungen ein, als wollte ich mich mit einem neuen Kunden treffen. Ohne Eile, ohne mich umzuschauen. Als wäre ich schon hundertmal hier gewesen. Meine schwarze Umhängetasche lässt auf einen Laptop schließen, also auf irgendeinen geschäftlichen Termin.
    Ein Junge mit wuchernden Koteletten hält mit dem Fuß den Notausgang auf und raucht.
    Ich frage ihn nach dem Computerraum und lege mir den Riemen über die andere Schulter, als wäre meine Tasche furchtbar schwer.
    In Kindergärten und Grundschulen riecht es nach Mandarinen, Radiergummi und Bleistiftanspitzer. Es ist immer noch derselbe Geruch wie an meinem ersten Schultag.
    In weiterführenden Schulen riecht es ganz anders. Schwer zu beschreiben, aber unverwechselbar. Ich glaube, es ist der Geruch der Ungeduld. Einer völlig grundlosen Ungeduld, wo doch das ganze Leben noch vor einem liegt.
    Das müssen wohl die Hormone sein. Hormone und das Gefühl von Allmacht, das durch die Nasenlöcher auf dem schnellsten Weg ins Gehirn eindringt, diese grenzenlose Gier heraufbeschwört und einem einflüstert, dass eine Niederlage noch kein Scheitern sei.
    Die Tür am Ende des Korridors steht offen, der Raum ist leer. Klasse IV B.
    Zwei schiefe Tischreihen, auf dem Fußboden bunte Rucksäcke, zusammengerollte Heftseiten, Brotpapier und Plastikbecher. Als hätte hier eine Horde Wilder campiert.
    Du, der Vertreter Furio Guerri, wärst jetzt versucht, hier aufzuräumen, aber als Monster habe ich dafür keine Zeit. Ich blättere die Aufgabenhefte auf den Tischen durch, nur die der Mädchen.
    Ich muss mich beeilen. Ich hätte das Istituto Comprensivo Marconi gar nicht betreten dürfen.
    Schnell schnappe ich mir die olivgrüne Kapuzenjacke mit dem Paillettenschriftzug »Girls just wanna have guns«. So hieß mal ein Lied, glaube ich, aber ich bin mir nicht sicher.
    Ob sie mit der Jacke auch in die Disco geht? Oder trägt sie die nur in der Schule?
    30% Acryl. 50% Baumwolle. 20% Elasthan. Dem ausgebleichten Etikett nach zu urteilen wurde das Teil oft gewaschen und häufig getragen. Das macht es umso interessanter für mich.
    Wo hat sie es wohl gekauft? Hat sie es selbst ausgesucht oder sich von einer Freundin beraten lassen?
    Auf dem Gang ist es still. Aber ich dürfte nicht hier sein.
    Ich ziehe den Reißverschluss auf und lege mir die Jacke aufs Gesicht. Dann schließe ich die Augen, hole tief Luft.
    Herber Schweißgeruch, Weichspüler und Anti-Akne-Lotion. Nach all der Zeit umfängt mich, das Monster Furio Guerri, plötzlich
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