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Vater. Mörder. Kind: Roman (German Edition)

Vater. Mörder. Kind: Roman (German Edition)

Titel: Vater. Mörder. Kind: Roman (German Edition)
Autoren: Giampaolo Simi
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wieder das Leben, das mir genommen wurde. Wie wunderbar, es immer noch wiederzuerkennen.
    Ich vergesse alles um mich herum, auch die Tatsache, dass ich schleunigst hier abhauen sollte.
    Ich verlasse den Klassenraum, biege in den Gang ein und wähne mich schon so gut wie draußen.
    Irrtum.
    Auf einmal steht sie vor mir. Klein und unbedeutend, wenn sie nicht genau zwischen mir und dem Ausgang stünde wie ein Felsblock, der mir den Fluchtweg versperrt.
    Ich habe sie nicht kommen hören, sie trägt die gleichen weiß-silbernen Sneakers wie ihre Schülerinnen. Aber sie ist kein kleines Mädchen mehr. Die junge Lehrerin mit der Strickjacke mustert mich mit erhobener Augenbraue und fragt, ob ich etwas suche. Ich muss improvisieren.
    »Den Computerraum.«
    »Sind Sie der Techniker?«
    Ich bin gezwungen, Ja zu sagen.
    »Das wurde aber auch Zeit. Es ist schon zwei Wochen her, dass wir angerufen haben. Kommen Sie mit.«
    Zum Glück hatte ich immer genügend Zeit, mich auf dem neuesten Stand der Technik zu halten.
    Ich konfiguriere die Druckertreiber neu und lasse ein paar veraltete Antivirenprogramme durchlaufen, das macht einiges her. Dann befreie ich die Computer von unzähligen Junkfiles, Cookies und ähnlichem Dreck, den sie sich im Internet eingefangen haben. Ich frage, ob es zufällig sein könnte, dass der eine oder andere Kollege auf Pornoseiten geht.
    »Die Kollegen, keine Ahnung. Aber die Jungs machen nichts anderes«, klärt sie mich auf. »Warum tragen Sie hier drinnen eigentlich eine Sonnenbrille?«
    »Ich hatte kürzlich eine Netzhaut-OP.«
    »Sollten Sie da nicht ein bisschen kürzertreten?«
    »Ja, das sollte ich wohl«, seufze ich und denke, was geht dich das an.
    Ich teile ihr mit, dass bei einem der Computer das Motherboard durchgeschmort ist.
    »Dann nehmen Sie ihn mit zur Reparatur.«
    Als ich ihr erklären will, warum sich das nicht mehr lohnt, ist sie schon auf dem Weg irgendwohin, und ich muss ihr nachlaufen.
    »Ich habe die Schnauze voll davon, jeden Morgen meinen eigenen Rechner mitbringen zu müssen, weil hier nichts funktioniert.«
    Am Sekretariat hat sie die Tür bereits geöffnet, bevor sie anklopft, und ist auch schon im Innern verschwunden.
    Es sind nur ein paar Meter bis zur Treppe, zwei Etagen, und weg wäre ich. Sie ist die Einzige, die mich gesehen hat, und niemand sonst wird mich zu Gesicht bekommen.
    Aber, keine Ahnung, ich bleibe einfach stehen. Und sehe mich um, wie ein Vertreter es nicht tun sollte. Ich sehe mich um, stelle mir alles Mögliche vor und fantasiere. Der perfekte Vertreter verliert sich nie in Träumereien, er provoziert sie höchstens bei seinen Kunden.
    So gebe ich der Lehrerin genügend Zeit, wieder herauszukommen. Noch wütender als vorher.
    »Kein Geld. Keine Reparatur.«
    Ich breite die Arme aus.
    »Im Sekretariat behaupten sie, der Servicevertrag sei schon im Oktober gekündigt worden. Stimmt das?«
    Das sei schon möglich, räume ich ein, vielleicht hätten meine Kollegen einfach versäumt, mir das mitzuteilen.
    »Meine Kolleginnen haben jedenfalls ganz sicher versäumt, mir das mitzuteilen.«
    Ich lächle. Ein Vertreter, der etwas auf sich hält, hat selbst dann noch den Mut zu lächeln, wenn niemand anders sich mehr traut. Dann zwinkere ich ihr zu, denn ein guter Vertreter ist immer auf der Seite des Kunden.
    »Keine Sorge. Ich hatte ohnehin ein bisschen Leerlauf, das setze ich einfach wem anders mit auf die Rechnung.«
    Sie schnauft erleichtert, und die Pausenglocke ertönt.
    »Lassen Sie mich Ihnen wenigstens einen Kaffee spendieren.«
    In der Schulkantine empfiehlt sie mir die warme Blätterteigtasche. Mit Ricotta und Zitrone.
    »Die Schüler der Kochklasse haben sie eben aus dem Ofen geholt«, insistiert sie und erklärt mir, dass die Schule drei Oberschulen in sich vereine.
    »Wer es im naturwissenschaftlichen Bereich nicht schafft, versucht es mit dem Wirtschaftszweig. Und wer da ebenfalls durchrasselt, landet beim Hotelfach. Und das, ohne morgens einen anderen Bus nehmen zu müssen. Für manche dieser Hominiden würde das bereits ein unüberwindliches Hindernis darstellen.«
    Wir teilen uns eine Blätterteigtasche. Für mich kein Kaffee, für sie eine doppelte Tasse Gerstenkaffee. Wir schauen durch die Kantinenfenster nach draußen, auf den belebten Sportplatz zwischen den Pinien.
    »Noch drei Monate, dabei ertrage ich sie jetzt schon nicht mehr.«
    »Was unterrichten Sie denn?«
    »Ich? Alles.«
    »Und wie viele Unidiplome braucht man, um alles zu
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