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Vater. Mörder. Kind: Roman (German Edition)

Vater. Mörder. Kind: Roman (German Edition)

Titel: Vater. Mörder. Kind: Roman (German Edition)
Autoren: Giampaolo Simi
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die vierzig sein, das traue ich mir gerade noch zu.«
    Magnani kicherte über seine Bemerkung, dann betonte er, wie glücklich er sei, einen so tüchtigen Kollegen wie mich ausgebildet zu haben. Und dass es nur noch wenige junge Kerle gebe, die so in Ordnung seien. Ein paar Meter trennten euch von dem schwarzen Schlund des letzten Tunnels, der auf beiden Spuren mit Autos verstopft war.
    Der große Magnani war bei Aggradi Grafik & Druck seit jeher für den Bereich »Werbung« verantwortlich. »Werbung« meint die gesamte Bandbreite vom Plakat bis zur Tischwäsche von Restaurants und vom Stimmzettel bis zum Etikett einer Weinflasche. Ein riesiger Sektor. Uneingeschränkt implementierbar. Implementierbar ist ein Lieblingswort von Aggradi junior, der studiert hat. Sein Vater, Aggradi senior, der Unternehmensgründer, hatte schon im Alter von zwölf Jahren bis zu hundert Schriftsätze täglich aus Holzlettern gesetzt. Mit zwanzig erstand er eine kleine deutsche Offsetdruckmaschine, für die er eine gebrauchte Lambretta und die Goldzähne seines Vaters, seiner Mutter und seiner Großmutter in Zahlung gab, insgesamt elf an der Zahl.
    Du hingegen bist für die »Kultur« zuständig. Darunter fällt bei Aggradi alles, was mit einer wie auch immer gearteten Bindung versehen ist, also Bücher, Bildbände, Reiseführer, Lehrbücher, aber auch Gebrauchsanweisungen, sofern sie von wenigstens einer Metallklammer zusammengehalten werden, andernfalls landen sie in der Sparte »Werbung«. Durch die strikte Trennung zählt der Katalog eines Möbelherstellers mitunter zu »Kultur« und das Plakat einer Kunstausstellung zu »Werbung«.
    Wobei der Sektor »Kultur« weitaus schwieriger implementierbar ist. Auf diesem Gebiet wimmelt es nur so von Nervensägen und durchgeknallter Kundschaft, wie etwa den beiden Schwulen, denen du jeden Mittwochnachmittag deine Aufwartung machst.
    Sie heißen Augusto und Walter, und in deinem Karteikasten stehen sie für den ConTesto Verlag. Haupteigentümer ist Augusto, der ältere der beiden, der mit seinen Seidenschals umherstolziert wie mit einer Priesterstola und schon morgens billigen Whisky trinkt. Sein Teilhaber Walter, noch keine vierzig, aber schon kahl, ist zuständig für den unangenehmen Kontakt zu Kunden und Lieferanten, denen er, an der Pfeife in seinem Mundwinkel kauend, Rabatte abzuhandeln versucht.
    Die beiden Schwulen sind die kulturellsten deiner kulturellen Kunden. Sie drucken kulturelle Bücher, die niemand kauft, was wiederum dazu führt, dass die beiden erhebliche Schwierigkeiten haben, ihre Rechnungen zu begleichen.
    Der ConTesto Verlag sitzt in einer kleinen Jugendstilvilla, die sie bei deinem ersten Besuch als »fast eklektizistisch« bezeichneten. Diese eklektizistische Villa thront an der Küste der Versilia, nicht weit entfernt von dem Pinienwald, in dem D’Annunzio sich vor Urzeiten mit seiner Ermione zum Stelldichein traf. Nicht selten musst du sie in dem Pinienwald aufspüren, um eine Auftragsbestätigung einzuholen. Weil sie mit ihrem Verlag einen so wichtigen kulturellen Beitrag leisten, verlangt die Kommune nur einen symbolischen Betrag für die Miete. Mittags pflegen sie in ihrem Lieblingsrestaurant an der Strandpromenade zu speisen, selbst im Winter, wenn das Meer finster ist und der Strand so menschenleer, dass der Sand blendet. Warmer Tintenfischsalat, Oktopus mit Kartoffeln oder Risotto. Zwar laden sie dich jedes Mal ein, aber ehrlich gesagt ist es dir ziemlich unangenehm, mit zwei Schwulen an einem Tisch zu sitzen.
    Jedenfalls genießen die beiden mit ihrer Entourage aus jungen ausländischen Bildhauern, Dichterinnen in Rautenpullis und cholerischen Lokalpolitikern ein gewisses Ansehen. Das schwule Netzwerk bietet ihnen die Möglichkeit, jederzeit alle erdenklichen Veranstaltungen und Ausstellungen auszurichten, in der Oper, im Museum oder wo auch immer. Verschiedene Universitäten bezahlen sie zudem für die Publikation siebenhundertseitiger Schinken, die erst nach drei Korrekturläufen in den Druck gehen können. Und als wäre das noch nicht genug, tafeln die beiden täglich auswärts, obwohl du ihnen jedes Mal einen ihrer ungedeckten Schecks unter die Nase halten musst.
    Dieser Mittwochnachmittag ist da keine Ausnahme.
    Die beiden Schwulen halten sich in ihrer kleinen Villa eine frischgebackene Literaturwissenschaftlerin, die Sekretariats- und Lektoratsarbeiten für sie erledigt. Das arme Ding schuftet zehn Stunden am Tag für einen Hungerlohn und muss sich noch
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