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Vater. Mörder. Kind: Roman (German Edition)

Vater. Mörder. Kind: Roman (German Edition)

Titel: Vater. Mörder. Kind: Roman (German Edition)
Autoren: Giampaolo Simi
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für Eigenschaften verachten lassen, die in den Augen ihrer Arbeitgeber unverzeihlich sind: Sie ist eine Frau, und sie ist jung.
    Sie ist diejenige, die dich empfängt, einen Enziantee für dich aufbrüht und dir zeigt, welche Korrekturen in das Manuskript von Neue kritische Überlegungen zu Gotik und Romanik eingearbeitet werden müssen.
    Der Ammoniakgeruch der Korrekturbogen verleiht dem Duft ihres Körperpuders eine interessante herbe Note. Magnani würde das Mädchen bestimmt nicht verschmähen, obwohl sie diese bratapfelgrüne Strickjacke aus Kaschmirgemisch und die Kameen ihrer Großmutter trägt. Die Ärmste, es muss grauenhaft sein, Tag für Tag diesen beiden Typen ausgeliefert zu sein.
    Wo stecken die überhaupt wieder, fragst du dich, während die frischgebackene Literaturwissenschaftlerin dir die grauen, mit roten Korrekturzeichen gesprenkelten Seiten zeigt. Wieder zwanzig Änderungen auf jeder Seite, also massenhaft Arbeit für nichts und wieder nichts. Nächste Woche wird Aggradi junior sich im Zwischengeschoss über die Exceltabelle deines Tätigkeitsberichts beugen und dich dafür anscheißen, das weißt du jetzt schon. Danach wirst du in die Druckerei runtergehen und die Kollegen vom Satz anscheißen, weil sie es nicht auf die Reihe kriegen, auch nur eine einzige Korrektur auf Anhieb zu kapieren.
    Das eigentliche Problem ist, dass Aggradi junior den Bereich »Kultur« verabscheut. Wenn es nach ihm ginge, würde er ihn am liebsten ganz abschaffen. Aber eine Druckerei, die keine Bücher druckt, ist keine richtige Druckerei, sagt Aggradi senior, und solange der lebt, ist das Gesetz. Er selbst hat in seinem ganzen Leben noch kein Buch zu Ende gelesen und prahlt jetzt damit, dass er zehn Bücher im Monat druckt. Eine seltsame Art, sich gesellschaftlich freizukaufen. Kultur hat in seinem Leben nie eine Rolle gespielt, aber der Mann spielt eine Rolle in der Kultur.
    Dann erklärt dir die frischgebackene Literaturwissenschaftlerin der Reihe nach die Korrekturen in den klein gedruckten Fußnoten unter den Seiten. Ihr beugt euch über die Fahnen.
    »Auf dem ›e‹ von Bronte fehlt das Trema, sehen Sie?«
    »Die was ?«
    »Die zwei Punkte«, präzisiert sie und lehnt sich weit über den Tisch, um dir die beiden unbedeutenden roten Tupfer zu zeigen. Und du stellst fest, dass ihr Strickjäckchen nicht ganz so zugeknöpft ist wie sonst.
    »Ohne Diärese würde man es im Englischen Bront aussprechen.«
    Oh, mein Gott, wenn das mal nicht ihre kleine eklektizistische Villa zum Einsturz bringt! Du lugst ihr in den Ausschnitt, gelobst feierlich, jedem »e« in Bronte seine zwei beschissenen Pünktchen zu verabreichen, und kannst die Katastrophe gerade noch verhindern. Bis du der frischgebackenen Literaturwissenschaftlerin eröffnest, dass du mit Walter sprechen möchtest. Oder mit Augusto. Zu dumm, dass die beiden sich auf einer Tagung befinden.
    »Aber sie werden doch etwas für mich dagelassen haben?«
    Die frischgebackene Literaturwissenschaftlerin weiß von nichts, schaut dir gerade in die Augen und fingert an ihrem Kameeanhänger herum. Du versuchst Walter auf dem Handy zu erreichen, während sie dich geflissentlich darüber aufklärt, dass er es während der Tagung sicher ausgeschaltet hat.
    Hättest du dir auch denken können, und dass Walter einen Scheck für dich dagelassen hat, glaubst du ja wohl selber nicht. Es war doch von vorneherein klar, dass du die beiden Chefs nicht antreffen würdest, weil sie nämlich kein Geld haben, um dich zu bezahlen.
    »Wann kommen sie zurück?«
    »Die Tagung ist um halb acht zu Ende.«
    Du stützt dich auf den Tisch und schaust auf die Pendeluhr zwischen den Nussholzregalen, die sich unter dem Gewicht der Bücher biegen. Es ist erst fünf. Du gibst ihr die volle Breitseite: Bevor die Schecks nicht freigegeben sind, geht der Band nicht in Druck. Um den Kunden nicht zu verprellen, muss ein guter Vertreter unnachgiebig mit dessen Untergebenen sein.
    Vor Schreck nimmt sie die Brille ab.
    »Aber in zwei Wochen ist in der Uni Pisa die Buchpräsentation.«
    »Ich habe mich Walter gegenüber klar ausgedrückt.«
    Sie streckt dir den grauen Stapel Papier entgegen.
    »Lassen Sie die Korrekturen einarbeiten. Walter ruft Sie morgen Nachmittag an.«
    »Nein, tut mir leid.«
    »Bitte!«, fleht sie.
    Höflich lächelnd lässt du sie mit dem Papierstapel in der Hand stehen und merkst an, dass es morgen genauso ablaufen wird wie immer: Betteleien, Diskussionen, Ausreden und leere
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